Drei Bücher über die Geschichte der Gastmähler in der Antike
Johann Wilhelm Stucki
Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.01.2025
Entstehungszeitraum: terminus ad quem ist das Erscheinungsdatum (1582).
Ausgaben: Johann Wilhelm Stucki, Antiquitatum convivialium libri III, Zürich, Froschauer, 1582; Zürich, Wolf, 1597, fol. 28ro-vo, 101ro-102ro und 153vo-154ro; Frankfurt a. M., Cambier, 1613; Lyon, Hackius, und Amsterdam, Boom, 1695.
Der Zürcher Johann Wilhelm Stucki (1542-1607) studierte in Basel, Lausanne, Strassburg, Tübingen und Padua. Im Jahr 1561 war er Sekretär und Dolmetscher von Peter Martyr Vermigli beim Kolloquium von Poissy. Er war Professor für das Alte Testament am Carolinum in Zürich (1568) und Kanoniker am Grossmünster (1571). Zu seinen Werken gehören Biographien mehrerer bedeutender Zürcher Persönlichkeiten: Heinrich Bullinger, Josias Simler, Johannes Wolf und Ludwig Lavater; seine Scholien über Arrians Schwarzmeer-Periplus (Rundfahrt) und über die Rundfahrt um das Rote Meer eines unbekannten Autors, die damals ebenfalls Arrian zugeschrieben wurde; seine Gratulation Helvetiens an Gallien für seinen König, Heinrich IV. von Frankreich und Navarra; und seine De angelis angelicoque hominum praesidio atque custodia meditatio. Im Bereich der antiquarischen Literatur, der uns im Folgenden beschäftigt, ist sein Werk über die Zeremonien und Opfer der Heiden zu erwähnen, die Sacrorum sacrificorumque gentilium brevis et accurata descriptio.
Johann Wilhelm Stuckis berühmtestes Werk ist zweifellos sein enzyklopädisches Werk zur Kulturgeschichte des Altertums mit dem Titel Antiquitatum convivialium libri III (frei übersetzt: «Drei Bücher über die Geschichte der Gastmähler in der Antike»), dessen erste Ausgabe 1582 und dessen zweite, erweiterte und korrigierte Ausgabe 1597 erschien (sie umfasst über 800 Seiten); eine dritte und vierte Ausgabe, die im Vergleich zur zweiten unverändert blieben, wurden 1613 und 1695 veröffentlicht. Der Abhandlung sind eine Widmung an die Honoratioren der Stadt Schaffhausen und eine an den Leser adressierte Vorrede vorangestellt.
Stucki «betätigt sich als Ethnograph, indem er die Riten und Bräuche im Zusammenhang mit dem Gastmahl in den antiken Zivilisationen, vor allem bei den Hebräern, Griechen und Römern, vergleicht», wobei er sich auch mit den zeitgenössischen Bräuchen in der Schweiz, aber auch in anderen Teilen Europas, in Afrika, Asien und Amerika, befasst. Seine Quellen (biblische, antike, mittelalterliche und zeitgenössische) sind äusserst zahlreich; von den auf diesem Portal vertretenen Autoren zitiert er Erasmus, Conrad Gessner, Benedikt Aretius, Theodor Zwinger, [Henri Estienne]. Der lateinische Text ist mit zahlreichen griechischen, hebräischen und deutschen Passagen durchsetzt.
Stucki «untersucht Essen und Mahlzeit in all ihren sozialen und religiösen Dimensionen». Das Thema Gastmahl bzw. Mahlzeit ist für ihn ein zentrales Thema, da das gemeinsame Essen eine wesentliche Aktivität des menschlichen Lebens darstellt. Wer über das Mahl schreibt, schreibt über das Leben; denn da, wie Stucki im Vorwort für den Leser feststellt, «die Gastmähler [...] fast das gesamte menschliche Leben [umfassen], ist es unvermeidlich, dass derjenige, der über die Gastmähler schreibt, gleichzeitig über sehr viele Dinge des menschlichen Lebens schreibt». Stucki behandelt eine Vielzahl von Themen und befasst sich mit grammatikalischen, physikalischen, medizinischen, ethischen, wirtschaftlichen, politischen, philosophischen und historischen Fragen, die alle mit Blick auf die moralische und menschliche Bildung des Lesers von grossem Nutzen sind. Das Werk hat aber auch religiöse Hintergründe, da es vor dem Hintergrund der theologischen Debatten zwischen Katholiken und Protestanten über die Eucharistie in der zweiten Hälfte des 16 Jahrhunderts zu sehen ist.
Im ersten Buch stellt Gessner Überlegungen zu den verschiedenen Arten von Mahlzeiten oder Banketten an, je nachdem, wie viel oder wie wenig gegessen wird, zu welcher Tageszeit (Mittagessen, Zwischenmahlzeit usw.), unter welchen Umständen (jüdische Beschneidung, Fest, Hochzeit usw.), von wem (Juden, Griechen, Soldaten usw.), und ob privat oder öffentlich, heilig oder profan usw.) gegessen wird. Im zweiten Buch geht es vor allem um die Vorbereitung der Mahlzeiten (Einladung, Zubereitung der Speisen, Geschirr, Diener, Kleidung, Waschungen vor dem Essen usw.). Das dritte Buch befasst sich mit dem Ablauf des Banketts (Verteilung der Speisen, Getränke, Tanz, Spiele, Gebete usw.). Ein langes Inhaltsverzeichnis der 35 Kapitel des ersten Buches, der 38 Kapitel des zweiten Buches und der 26 Kapitel des dritten Buches vermittelt einen Eindruck von der enormen thematischen Vielfalt des Werkes. Bemerkenswert ist auch der umfangreiche Index rerum et verborum von 16 Seiten Umfang.
Aus diesem monumentalen Werk, das, abgesehen von den wissenschaftlichen Artikeln, auf die wir hier verweisen, auch eine ausführliche Studie in Form einer Monographie verdienen würde, und das wir hier nur in Grundzügen vorgestellt haben, präsentieren wir drei Texte, die zwar nicht repräsentativ für das gesamte Werk sind, aber dennoch einen Einblick in Stuckis Stil, seine Quellen und seine Schreibart gewähren. Der erste, sehr kurze Text stammt aus dem ersten Buch (Kap. XIII). Er stützt sich auf die Bibel und die antiken Ärzte Hippokrates und Celsus und zeigt, wie wichtig es ist, die Ernährung an das Alter anzupassen. Den zweiten Text, ebenfalls aus dem ersten Buch (Kap. XXVIII), haben wir aufgrund seines direkten Bezugs zur Schweiz und seines daraus resultierenden patriotischen Interesses ausgewählt; es handelt sich um eine Passage über die Gastfreundschaft der Zürcher, deren Quelle diesmal Stuckis eigene Erfahrung ist. Der dritte Text stammt aus Buch II (Kap. V) und handelt von denjenigen, die ungebeten zu einer Mahlzeit kommen; man kann hier Stuckis Gelehrsamkeit bewundern, der insbesondere Homer, Platon, Athenaios sowie den Byzantiner Eustathos von Thessaloniki zitiert.
Bibliographie
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