Heraldische Gedichte
Peter Brantschen
Einführung: Anne Andenmatten (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 08.01.2025.
Entstehungszeitraum: 1603, gemäss einer Angabe am Ende der Gedichte.
Ausgaben: Peter Brantschen, Reverendiss. et clarissimo antistiti Dn. Hiltebrando a Riedmatten episcopo Sedunensi, praefecto atque comiti Vallesiae: veneranda dignitate ac religione dominis, Dn. decano, ac ceteris ecclesiae cathedralis apud Sedunen. Canonicis, Freiburg i. Üe., Wilhelm Maes, 1604. Eine Faksimile dieses Werkes ist mit französischer Übersetzung verfügbar in M. Michelet, «Un exercice de prosodie latine», Annales valaisannes 33 (1958), 369-388; M. Michelet, «Jeux héraldiques et gloses rythmées», Annales valaisannes 34 (1959), 483-513.
Metrum: elegische Distichen.
Das Leben des Peter Brantschen
Peter Brantschen wird als Sohn eines Chorherrn des Kathedralkapitels von Sitten geboren, Peter Brantschens, der aus Zermatt stammt und am 21. Oktober 1565 zum Chorherrn gewählt worden ist. Der Vater ist ein Gelehrter, der sich für die Geschichte des Wallis interessiert und 1576 den ersten kritischen Katalog der Bischöfe von Sitten verfasst. Er ist als Pfarrer in verschiedenen wichtigen Pfarreien tätig, zunächst in Zermatt, dann in Leuk, bevor er von den Bürgern der Stadt zum Pfarrer von Sitten gewählt wird, ein Amt, das er 33 Jahre lang, vom 18. November 1583 bis zu seinem Tod im Jahr 1616, innehatte. Seine pastorale Tätigkeit als Pfarrer von Sitten ist nicht bekannt, aber er scheint nicht den Ruf gehabt zu haben, ein vorbildlicher Priester zu sein. Er soll durch seine Predigten Skandale ausgelöst und auch mit den Anhängern der Reformation sympathisiert haben, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Bischofsstadt Sitten zahlreich sind. Diese besuchen seine Predigten jedoch nicht, da ihnen die Gewohnheiten des Priesters, wie Kreuzzeichen und Anrufung der Jungfrau Maria nicht gefielen. Der Kanoniker Peter Brantschen erlangt von 1605 bis 1616 die Würde des Dekans von Sitten. Sein Sohn Peter tritt teilweise in die Fussstapfen seines Vaters und studiert sowohl im Wallis als auch im Ausland, unter anderem in Dillingen. Er ist zunächst als Notar tätig und wird dann von den hohen Walliser Behörden mit der Schule des Landes betraut. Auf dem Landrat, der am 13. August 1600 in Sitten stattfand, tritt der junge Mann vor die Delegierten der Sieben Zenden, begleitet von mehreren Geistlichen, seinen ergebenen Beschützern, allen voran seinem eigenen Vater Peter Brantschen, dem Dekan von Sitten. Er legt dar, dass er während der Krankheit und nach dem Tod des vorherigen Schulmeisters Johannes Jost diesen vertreten, die Schule geleitet und die Jugend unterrichtet habe, wobei er alle voll und ganz zufrieden gestellt habe.
Daher ernennen und bestätigen ihn der Landeshauptmann und die Abgeordneten der Sieben Zenden mit Zustimmung des Kapitels in diesem Amt mit einem Jahresgehalt von 70 Kronen. Er übt diese Funktion als Schulmeister in Sitten (ludimoderator scholae Sedunensis) von 1600 bis 1625 aus, als die Jesuiten in die Walliser Hauptstadt kommen. Peter Brantschens erste Ehefrau ist Elisabeth, die Tochter des Vizelandeshauptmannes Bartholomäus Theiler von Sitten. Diese eheliche Verbindung macht ihn zum Neffen eines seiner Vorgänger, des ehemaligen Landesschulmeisters in Sitten, Johannes von Schalen, der mit der Reformation sympathisiert und früher Schüler von Thomas Platter in Basel war. Er heiratet später ein zweites Mal und hat auf jeden Fall eine Tochter namens Anastasia. Der Schulmeister Peter Brantschen scheint nach 1628 verstorben zu sein, denn sein Name taucht nach diesem Datum nicht mehr in den Einwohnerlisten anlässlich der jährlichen Hausbesuche durch den Rat der Stadt Sitten auf. Die heraldischen Gedichte über die Wappen des Bischofs von Sitten, Hildebrand von Riedmatten, des Kathedralkapitels und der Sieben Zenden sind sein einziges bekanntes Werk. Es wurde 1603 verfasst und 1604 von Wilhelm Mäß (oder Maess) in Freiburg gedruckt.
Die heraldischen Gedichte
- Literarische Gattung
Die heraldischen Gedichte von Peter Brantschen ähneln in ihrer Form den Emblemen, die der Mailänder Humanist Andrea Alciat zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwarf und die in diesem und im folgenden Jahrhundert grossen Erfolg hatten. Diese literarische Gattung verbindet Text und Bild und besteht in ihrer kanonischen Form aus drei Teilen, die miteinander interagieren: inscriptio (Titel), pictura (Bild) und subscriptio (Epigramm). Auch Brantschens heraldische Gedichte bestehen aus drei Teilen: einem Titel, einem Bild bzw. dem Bild eines jeden Wappens, das in den darauffolgenden Gedichten hervorgehoben wird. Doch nur die Wappengedichte der Sieben Zenden enthalten auch das dritte Element des klassischen Emblems, die inscriptio, in Form eines kurzen Satzes oder Mottos. Die Embleme der Renaissance können verschiedene poetische Metren annehmen, insbesondere elegische Distichen, wie sie in den Gedichten von Brantschen zu finden sind. Während die Embleme, die sich weitgehend an den Epigrammen der griechischen Anthologie orientieren, in verschiedene Typen eingeteilt werden können, beschränken sich Brantschens Gedichte allein auf den einzigen Typ der ekphraseis, die allgemein das Aussehen und die Symbolik von Kunstwerken, Grabmälern, Wappen, Edelsteinen oder Statuen, und in seinem Fall ausschliesslich von Walliser Wappen, beschreiben. Einige der von Brantschen gewählten Allegorien lassen auf eine Kenntnis der Emblemsammlung von Alciat oder anderer ähnlicher Emblemsammlungen schliessen. Tatsächlich finden sich dort dieselben Themen, wie der Löwe als Symbol der Wachsamkeit, der Delphin und der Anker als Symbol für die Errettung der Rettung für die Menschen oder die enge Verbindung der Vipern.
- Struktur
Die heraldischen Gedichte von Peter Brantschen zu Ehren des Bischofs von Sitten Hildebrand von Riedmatten, des Kathedralkapitels und der Sieben Zenden des Wallis bilden ein gut strukturiertes Ganzes.
Im ersten Gedicht versucht der Autor zunächst, den Bischof von Sitten, der die geistliche und weltliche Macht über das Wallis ausübte, zu loben, um seine Dankbarkeit für seine Anstellung als Landesschulmeister zum Ausdruck zu bringen. Brantschen hebt seine Qualitäten hervor, indem er geschickt mit der Symbolik seines Wappens spielt: Das Kleeblatt wird zum Symbol der Dreifaltigkeit, sein Grün erinnert an das Grünwerden oder das Erblühen der Tugend und der Religion unter seiner Herrschaft. Indem Brantschen seine Sammlung mit dem Gedicht über das Wappen des Bischofs von Sitten eröffnet, legt er sofort das Hauptthema fest: die Religion, die Verteidigung des katholischen Glaubens gegen den starken Einfluss der Reformation und, ganz nebenbei, die Verteidigung der weltlichen Macht des Bischofs und der Kirche im Allgemeinen. Das Episkopat von Hildebrand von Riedmatten war eine Zeit des Friedens und der Ruhe, die der Entwicklung der Künste und der Abfassung des Walliser Landrechts im Jahr 1571 förderlich war, und zu einem Aufblühen seines Volkes und seines Wohlstandes führte. Der Prälat wird als eine Art grosszügiger und grossmütiger «Vater des Vaterlandes» dargestellt. Doch unter seiner Herrschaft erlebte auch der Protestantismus im Wallis seinen Höhepunkt, und zwar unter den patrizischen und gebildeten Eliten der Orte in der Rhoneebene, insbesondere in den Städten Sitten und Leuk. Tatsächlich befand sich das Wallis während des gesamten 16. Jahrhunderts und bis zum Beginn des folgenden Jahrhunderts in einer Situation der konfessionellen Ambiguität. Die nonchalante Apathie dieses Bischofs oder seine aufgeklärte Toleranz gegenüber der reformierten Partei, je nach Standpunkt, trug paradoxerweise dazu bei, die Etablierung dieser religiösen Bewegung im Wallis zu bremsen. Brantschen verteidigt die geistliche und weltliche Macht, die der Bischof über das Wallis ausübt. Die Sterne des Wappens dieses Prälaten beleuchten den Bischofsstab und das Schwert, die Symbole seiner doppelten Macht.
Das zweite und längste Gedicht beschreibt die Kirche und die befestigte Siedlung Valeria, die über der Stadt Sitten thronen. Sie dienen den Kanonikern von Sitten als Wohnsitz und stellen in den Augen unseres Dichters eine Zitadelle des Glaubens dar. Brantschen preist sie mit Anspielungen sowohl auf die griechische Mythologie als auch auf die Bibel. Indirekt würdigt er auch seinen eigenen Vater, der Chorherr dieses heiligen Kollegs war. Deukalion, der Sohn des Prometheus, der mit seiner Frau Pyrrha aus dem Wasser gerettet wurde, indem er sich in die Arche flüchtete, konnte der Zerstörung der Welt durch eine Sintflut entkommen, die der Zorn des Zeus ausgelöst hatte, der der ständigen Kriege zwischen den Menschen überdrüssig war. Die Verwandtschaft zwischen diesem griechisch-römischen Mythos und der Erzählung von Noah in der Bibel ist offensichtlich. Die Sintflut verschlingt fast das gesamte Land, und Valeria, wo das Schiff der Kirche strandet, wird als Berg Ararat dargestellt. Der Hügel von Valeria wird auch mit dem Berg Tabor verglichen, wo die Verklärung stattgefunden haben soll und wo Christus drei Jüngern seine göttliche Natur offenbart. Es folgt ein weiterer biblischer Bezug: Johannes der Täufer, der Sohn des Zacharias, der das Kommen Christi mit offenem Visier ankündigt, während Babylon das Böse und die Sünden verkörpert. Auch die Riesen des klassischen Altertums, die Kinder der Gaia, werden erwähnt, schreckliche und monströse Wesen, die sich in einem schrecklichen Kampf gegen die olympischen Götter auflehnen. Brantschen zufolge wählt Gott selbst Valeria als Wohnsitz und schützt diesen Ort vor jeglicher Zerstörung. Er denkt dabei wohl an die religiösen Unruhen im Wallis, das zwischen den Anhängern des katholischen Glaubens und den Anhängern der Reformation hin- und hergerissen ist; daher die Anspielung auf die Zweifel, die beide Seiten plagen, und auf die Einheit des Glaubens, die es zu bewahren gilt, daher die Betonung durch die Anaphora unus. Er macht Valerius zum Bollwerk gegen die Ungläubigen, womit implizit die Protestanten gemeint sind, die mit den Bewohnern Babylons und den Giganten verglichen werden. Die religiöse und katholische Botschaft wird etwas zwanghaft mit den schönen Gewändern der heidnischen Mythologie geschmückt, ohne dass dies die Leser, die an solche Verfahren gewöhnt sind, schockiert.
Im dritten Gedicht werden die Sieben Zenden aufgelistet, deren Wappen mitsamt ihrer Symbolik Brantschen dann in separaten Gedichten beschreibt. Der Autor gibt vor, sich über die Bedeutung dieser Wappen Gedanken zu machen, und gibt vorab einen ersten Überblick, bevor er sie nacheinander durchgeht. Er folgt bei der Anordnung seiner Gedichte der topographischen Reihenfolge der Zenden und schliesst den Zyklus daher mit dem Wappen des Zenden Goms ab. Jedem Gedicht sind ein Titel und ein kurzes Motto zu Ehren der einzelnen Zenden sowie eine Gravur mit dem Wappen des jeweiligen Zenden vorangestellt.
Das vierte Gedicht ist dem Zenden Sitten gewidmet, dem ersten, der dem Reisenden entgegentritt, wenn er aus dem Unterwallis kommt, das damals von den sieben Zenden des Oberwallis abhängig war. Das Gedicht basiert auf einem Vergleich, der die Morgen- und Abendsterne Luzifer und Hesperus, die die Welt erleuchten, mit den Sternen des Wappens von Sitten verbindet, von denen der eine die Weisheit und der andere die Gerechtigkeit symbolisiert – Tugenden, die den Ruhm der Stadt und den Zenden Sitten über das ganze Land aufstrahlen lassen. Das Wort faces, das wiederholt wird, dient als Dreh- und Angelpunkt dieses Vergleichs.
Das folgende Gedicht stellt den Zenden Siders vor, der unter dem Zeichen des Lichts steht, das mit dem Guten und der Tugend in Verbindung gebracht wird, im Gegensatz zur Nacht und der Dunkelheit, in der sich böse und listige Geister verbergen. Diese Verse enthalten zahlreiche Antithesen zwischen Licht und Finsternis und zahlreiche Ausdrücke aus dem lexikalischen Wortfeld des Lichts.
Der Greif im sechsten Gedicht auf den Zenden Leuker verkörpert sowohl Geisteskraft Kampfesmut. Brantschen zögert nicht, sein Wissen zur Schau zu stellen, indem er behauptet, dass es der griechische Bildhauer Lysippos selbst war, der die Bewohner von Leuk aus Erz formte. Es stellt sich die Frage, warum der Autor dieses Distichon und diese gelehrte Anspielung auf den antiken Bildhauer in sein Gedicht einfügt.
Das siebte Gedicht über den Zenden Raron ähnelt dem Genre der Fürstenspiegel und betont die Bedeutung der Eintracht für die Stabilität des Staates. Die Metapher von den zwei Reben, die sich zusammenschliessen, um höher zu wachsen und schöne Trauben zu produzieren, entspricht dem Motiv des Wappens von Raron.
Die edlen, einander gegenüberstehenden Löwen auf dem Wappen des Zenden Visp symbolisieren Wachsamkeit. Könnte Brantschen an eines der Embleme von Andrea Alciat gedacht haben, auf dem das Tier, das der antiken Tradition zufolge mit offenen Augen schläft, genau diese Wachsamkeit repräsentiert? Ausserdem erinnern die beiden einander gegenüberstehenden Raubtiere daran, dass man gemeinsam stark ist. Wenn Brantschen auf die militärische Tapferkeit und Wachsamkeit des Visper Zendens verweist, spielt er auf eine Trophäe und einen Sieg an. Gemeint ist zweifellos die Schlacht von Visp am Mittwoch, dem 23. Dezember 1388, bei der auf der einen Seite die Truppen des savoyischen Statthalters Rudolf von Greyerz, der den Bischof von Sitten Humbert de Billens unterstützte, der wiederum mit den Grafen von Greyerz verwandt war und auch von Graf Amadeus VII. von Savoyen unterstützt wurde, und auf der anderen Seite die Oberwalliser Zenden, die gegen diesen savoyerfreundlichen Bischof opponierten, aufeinandertrafen. Die Truppen von Bischof Humbert de Billens erlitten dort eine sehr schwere Niederlage. Dieser Sieg der Oberwalliser ging als «Mannenmittwoch von Visp» in die Legende ein. Er war entscheidend für das Schicksal des Wallis und seine Unabhängigkeit, da es sich um den letzten Versuch der Savoyer handelte, das Oberwallis einzunehmen.
Der Anfang des Gedichts über den Briger Zenden ist ein Beispiel für raffinierte Wortspiele, die auf Alliterationen basieren, bei denen dieselben Laute am Anfang wiederholt werden: Parcae parcunt, schola ut altrix otii, munditiem mundus. All diese Wörter, die äusserlich ähnlich aussehen, haben in Wirklichkeit eine ganz andere Bedeutung. Die unbarmherzigen Parzen verschonen kaum jemanden. Das Wort schola (Schule) stammt von σχολή (Ruhe, Musse) ab, dessen Bedeutung sich mit otium vergleichen lässt. Die Welt (mundus) voller Wahnsinn kann nicht von dem Wort mundities (die schöne Ordnung) abgeleitet werden. Mit diesen Beispielen weist der Autor darauf hin, dass man sich nicht von Wörtern täuschen lassen sollte, die dem Anschein nach ähnlich sind, aber eine völlig andere Bedeutung haben. Anschliessend verwendet er das Wort Natrensium, «aus Naters», das hier verwendet wird, um den Zenden von Brig zu bezeichnen, mit dem Begriff natrix, «die Natter», in Verbindung. Die schwarze Natter mit ihrem tödlichen Gift hat jedoch überhaupt nichts mit der strahlend weissen Tugend der Bewohner des Zenden Brig zu tun. In diesem Gedicht könnte sich Brantschen auch auf ein anderes Emblem Alciats über die Ehe beziehen, in dem die geschlechtliche Vereinigung von Vipern erwähnt wird. Der Mailänder Humanist liess sich dabei teilweise von einer Passage aus Oppians Halieutica inspirieren, die Brantschen ebenfalls bekannt sein könnte, da dort von dem seltsamen Verhalten von Muränen und Vipern die Rede ist. Bei ihrer Vereinigung nimmt die weibliche Muräne den Kopf der männlichen Viper in ihren Mund auf. Brantschen erwähnt seinerseits die geschlechtliche Vereinigung von Vipern, die so eng ist, dass die eine «der anderen mit ihrem Maul den Kopf abbeisst.»
Das letzte Gedicht schliesst die Reise durch das Wallis ab, indem es den Lauf der Rhone zurückverfolgt, denn es behandelt den Zenden Goms. Seine Thematik konzentriert sich auf die Religion und enthält auch Anspielungen auf die Bewahrung des katholischen Glaubens. Es greift das traditionelle, aus der klassischen Antike übernommene Motiv des Delphins auf, der sich um einen Anker windet. Diese symbolische Assoziation auf einer Münze des Kaisers Titus wurde zum typographischen Markenzeichen des berühmten venezianischen Druckers Aldus Manutius. Sie wird in Erasmus’ Adagium mit dem Titel Festina lente zitiert und von Andrea Alciat in seinem Emblem 144, Princeps subditorum incolumitatem procurans, zweckentfremdet. In diesem Epigramm vergleicht der Mailänder Humanist die Haltung des guten Herrschers, der für die Sicherheit seiner Untertanen sorgt, mit der des Delphins, der die Rettung der Seeleute garantiert, indem er den Anker stabilisiert, wenn die Fluten stürmen. Pierre Brantschen greift dieses Motiv auf, verbindet es aber mit dem Kreuz Christi, das zum Rettungsanker für die Menschheit wird. Er bezeichnet den Delphin, dieses den Seeleuten wohl gesonnene Tier, als mysticus. Auf diese Weise verleiht er dem antiken Symbol eine neue Bedeutung im religiösen Bereich. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Zenden Goms als Verteidiger des Glaubens und Beschützer der angestammten Religion, die die Quelle des Heils für die Menschen ist. Goms scheint das gesamte Wallis im katholischen Glauben zu verankern. Tatsächlich gewann die Reformation im Wallis während des 16. Jahrhunderts vor allem in den Städten Sitten, Leuk, Visp und Brig Anhänger, während sie im Goms kaum oder gar nicht stattfand. Das eher landwirtschaftlich geprägte und in den Bergen gelegene Goms blieb dem Katholizismus treu.
- Stilistische und lexikalische Charakteristika
Wie bei Emblemen oder antiken Epigrammen fordert Brantschen den Leser auf, Fragen zu stellen und so zu tun, als würde er sie stellen. Indem dieser sie beantwortet, entschlüsselt er die symbolische Bedeutung des Wappens. Dies ist der Fall am Anfang des fünften Gedichts über den Zenden Siders sowie in dem Gedicht über den Zenden Leuk, das aus einer langen Reihe von Fragen und Antworten besteht. Seine Preziosität zeigt sich in der Wahl des Vokabulars, zahlreichen Gräzismen wie monocaulis (mit nur einem Stiel) und tryphyllon (dreiblättrig), die im Lateinischen ein Hapax sind, und in Transkriptionen des griechischen Wortes symbolon (Symbol oder Emblem). Er verwendet verschiedene Stilmittel, die sich wiederholen und künstlich wirken: das Polyptoton sub quo praesule praesul (Gedicht 1, letzter Vers), die Anapher von unus (Gedicht 2), die Antithesen aurorae/occasus, ille diem... affert/terminat iste diem (Gedicht 4), Wiederholungen, Parallelismen in der Konstruktion und Antithesen wie Lux es amica bonis, lux inimica malis (Gedicht 5, letzter Vers).
Brantschen erfindet neue Begriffe wie Vallesiadum und Sirriades, die er nach dem Vorbild des Lukrez am Beginn von De natura rerum formt. Er verwendet seltene und poetische Worte, wie indigitant, dessen klassische Bedeutung ihm allerdings unbekannt zu sein scheint, irradiant, turritam, compages, immugit, irriquieta, iubar, natrix, altrix, anhela.
Die vielen textlichen Ähnlichkeiten mit den klassischen Dichtern der Antike zeigen, dass er sich ihre Texte zu eigen gemacht hat und einige ihrer Formeln in seinen eigenen Kompositionen einsetzt, und zwar und in einem ganz anderen Kontext. So entnahm er beispielsweise einem Vers aus der Aeneis, der die geheime Wunde Didos beschreibt, die aus Liebe zu Aeneas brennt, die Formel sub pectore in Verbindung mit dem Adjektiv tacitus:
[…] interea et tacitum vivit sub pectore vulnus.
Quam princeps condit pectore sub tacito […]
Der krachende Tumult des Nereus im Meer, den der epische Dichter Silius Italicus beschreibt, wird bei Brantschen zum Grollen Neptuns, diesmal in einem ähnlichen Kontext:
Immugit Nereus, divisaque caerula pulsu […]
Neptunus pelago quoties immugit
Die Verachtung der Geschenke von König Alkinoos, die in einer Elegie von Properz erwähnt wird, inspiriert Brantschen. Er führt lexikalische Variationen ein, behält aber die gleiche Bedeutung und eine sehr ähnliche Satzstruktur bei:
[…] Regna vel Alcinoi munera despicere.
Turpia et Alcinoi respuis illecebras
Und viele weitere Beispiele könnten noch Brantschens gute Kenntnis der klassischen Dichter illustrieren, insbesondere von Vergil, Lucretia, Horaz, Ovid, Properz, Statius, Silius Italicus, Martial sowie dem grössten klassischsten Redner, Cicero. Die Anleihen sind zwar zahlreich, aber relativ unauffällig (es wird nie etwas wörtlich zitiert). Der Autor möchte mit seinem umfangreichen literarischen Wissen Bewunderung und Ehrfurcht hervorrufen.
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