Ein Brief Peter Girods an Peter Falck

Girod, Pierre

Einführung: Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 13.11.2023.


Entstehungsdatum: 27. Dezember 1518.

Handschrift: Staatsarchiv Freiburg, Fonds Praroman, enveloppe 1519.

Ausgabe: Büchi (1924), Beilage VI, 316-318.

 

Peter Girod, auch Peter Cyro oder Petrus Ricardus genannt, wird am Ende des 15. Jahrhunderts in Freiburg geboren. Er ist in seiner Heimatstadt zunächst als Schulmeister tätig (um 1511) und geht anschliessend für ein Jurastudium nach Pavia (1514-1516) und Paris (um 1517-1520). 1520 wird er von Freiburg und Bern in einer diplomatischen Mission zum Heiligen Stuhl geschickt. Danach wird er im Jahr 1522 Stadtgerichtsschreiber von Freiburg, doch seine Sympathien für die Reformation (1519 oder 1520 ist er Zwingli begegnet) führen dazu, dass er seine Geburtsstadt um 1525 verlassen muss. Man findet ihn danach in Bern wieder, wo er im selben Jahr noch Stadtschreiber wird; ab 1526 gehört er dem dortigen Grossen Rat an. 1533 werden die Berner Kanzlei und die Archive unter seiner Leitung neu organisiert. Er spielt auch bei der Eroberung des Waadtlandes im Jahr 1536 eine wichtige Rolle und leitet den Vorsitz der Disputation von Lausanne, bei der auf Berner Befehl hin Vertreter der katholischen und der reformierten Glaubenslehre aufeinandertreffen. Er ist es auch, der 1537 Edikt zur Durchsetzung der Reformation in der Waadt ausführt. Girod, der das Deutsche, das Französische, das Italienische, das Lateinische und das Griechische beherrscht, unternimmt gut 50 diplomatische Missionen in Berner Diensten. 1564 fällt er in Bern der Pest zum Opfer.

Peter Falck, der Empfänger dieses Briefes, ist eine zentrale Gestalt im Freiburg des 16. Jahrhunderts. Er erklimmt alle Stufen der politischen Karriere bis zum Amt des Schultheissen, das er 1516 antritt. Sehr bedeutend ist auch sein Einfluss auf die Kultur des Humanismus in der Schweiz. Falck nutzt seine diplomatischen Reisen nach Italien und Frankreich, um schweizerischen Studenten Stipendien zu verschaffen. So erhält Heinrich Glarean, einer der bedeutendsten Schweizer Humanisten, der später Professor in Freiburg i. Br. wird, durch seine Unterstützung ein Stipendium für Studienaufenthalte in Pavia und Paris. Auch Peter Girod kommt in den beiden genannten Städten nacheinander in den Genuss eines Stipendiums, denn Glarean ist von der Tagsatzung jeweils damit beauftragt worden, für den vor- und nebenuniversitären Unterricht der eidgenössischen Stipendiaten zu sorgen. Wie auch die anderen Schweizer Stipendiaten ist sich Girod bewusst, dass er Falck viel verdankt und hofft, dass dessen Beziehungsnetz seiner eigenen Karriere nützen wird. Als Zeichen seiner Dankbarkeit für das Stipendium in Pavia schenkt er ihm 1514 eine Ausgabe der Adagia des Erasmus von Rotterdam, einer Sammlung kommentierter antiker Sprichwörter und Redensarten, die zu den einflussreichsten und meist verbreiteten Texten des Renaissancehumanismus gehört. 1517 erlangt Girod den Magistergrad in Pavia, danach begibt er sich für einen weiteren Studienaufenthalt nach Paris. Aus seiner Pariser Zeit sind sechs Briefe bekannt, die zwischen dem September 1517 und dem Januar 1519 geschrieben wurden und sämtlich an Falck adressiert sind. Zu Beginn des Jahres 1520 kehrt er nach dem Ende seines Stipendiums nach Freiburg zurück; Falck hat in der Zwischenzeit beschlossen, sich auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem zu begeben und ist im Oktober 1519 auf der Rückreise verstorben.

Das Pensionat (lateinisch bursa) der Schweizer Studenten in Paris war nach dem Vorbild der antiken römischen Gesellschaft organisiert und ahmte deren Hierarchie nach. Deshalb reden die jungen Männer Falck in ihren Briefen als «Maecenas» an (nach dem gleichnamigen Berater des Augustus, der bedeutende römische Dichter wie Vergil und Horaz unterstützt hatte) oder auch als «Konsul» (dem höchsten politischen Amt in der alten römischen Republik). Diese Art von Kunstgriffen lässt sich auch in diesem Brief Girods festzustellen. Man findet darin auch eine grosse Zahl von Zitaten aus griechischen Autoren. In den Augen moderner Leser mag dies pedantisch wirken; für den jungen Girod aber war es eine exzellente Möglichkeit, um seine Lernerfolge zu demonstrieren und seinem Wohltäter zu schmeicheln.

 

Bibliographie

Büchi, A., «Peter Girod und der Ausbruch der Reformbewegung in Freiburg», Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 18 (1924), 1-21 und 305-323.

Dahhaoui, Y., Peter Falck: l’humaniste et sa bibliothèque/Peter Falck: der Humanist und seine Bibliothek, Freiburg, Pro Fribourg, 2017 (Pro Fribourg 196).

Greyerz, K. von, «Peter Falck», in: P. G. Bietenholz (Hg.), Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, Bd. 2, Toronto/Buffalo/Londres, University of Toronto Press, 1986, 9-10.

Lavater, H. R., «Peter Cyro», in: G. W. Locher (Hg.), Der Berner Synodus von 1532: Edition und Abhandlungen zum Jubiläumsjahr 1982, Bd. 2: Studien und Abhandlungen, Neukirchen-Vluyn, Neukirchener Verlag, 1988, p. 370-374.

Lutz S., «Cyro, Peter», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 16.03.2004, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010574/2004-03-16/.

Tremp, E., «Ein Freiburger “Europäer”, begraben in Rhodos: Peter Falck (um 1468-1519) und sein Humanistenkreis», in: C. Fedrigo u. a. (Hgg.), Fribourg sur les chemins de l’Europe, Freiburg i. Ü., Archives de l’État de Fribourg, 2000, 59-64.