Brief an Zwingli: Basler Impressionen eines Schülers

Gerold Meyer

Einführung: Clemens Schlip (traduction française: David Amherdt). Version: 21.12.2023.


Entstehungszeitraum: vermutlich Spätfrühjahr/Frühsommer 1521.

Handschrift: ZB Zürich, Ms. F 46, 203-204.

Ausgabe: G. Finsler (Hg.), Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Bd. 7 (= Zwinglis Briefwechsel, Bd. 1. Die Briefe von 1510-1522), Leipzig, Heinsius, 1911, Nr. 179, 452-453 ((lat. Text ohne Anm. auch hier: https://www.irg.uzh.ch/static/zwingli-briefe/?n=Brief.179).

 

Gerold Meyer von Knonau wurde 1509 als Sohn des Junkers Hans Meyer von Knonau und dessen Frau Anna Reinhart (ca. 1484-1538) geboren. Nach dem Tode seines Vaters (1517) kam er zu seinem Grossvater, dem Ratsherren Gerold Meyer von Knonau, der zuvor die Ehe seines Sohnes abgelehnt und diesem jede Unterstützung entzogen hatte. Nach dem Verscheiden seines Grossvaters und der Stiefgrossmutter kehrte er 1520 zu seiner Mutter Anna zurück. Diese trat zu einem nicht näher zu bestimmenden Zeitpunkt in nähere Beziehungen zu dem seit 1518 in Zürich als Leutpriester wirkenden und ihr gleichaltrigen Ulrich Zwingli, die schliesslich in eine Heirat mündeten. Die zunächst geheim gehaltene Ehe der beiden wurde vielleicht im Mai 1522 geschlossen, sicher aber vor dem 21. Juli 1522 vollzogen; erst am 2. April 1524 bestätigte Zwingli durch den gemeinsamen Kirchgang mit seiner Gattin ihre Ehe öffentlich. Der junge Gerold besuchte die Lateinschule am Grossmünster. Auf Zwinglis Anraten studierte er anschliessend in Basel, wo er der Obhut erst des Jacobus Nepos (1521), dann der des Glarean (1522) anvertraut war. In Basel machte er Schulden. Nach seiner Rückkehr 1522 fiel er in Zürich zeitweise durch einen unordentlichen Lebenswandel auf. Wohl deshalb widmete Zwingli ihm seine 1523 erschienene Erziehungsschrift Quo pacto ingenui adolescentes formandi sint. Gerold scheint sich rasch gebessert zu haben. Er wurde Mitglied des Grossen Rates (des Rates der 200) und verehelichte sich bereits 1525 auf Zwinglis Anraten mit der Ratsherrentochter Küngholt Dietschi. Am 11. Oktober 1531 fiel er wie sein Stiefvater in der Kappeller Schlacht; der 22-Jährige hinterliess zwei Söhne und eine vier Monate alte Tochter.

Den Brief, den wir hier präsentieren, schrieb Gerold Meyer nicht lange nach dem Beginn seines Baselaufenthalts, vermutlich im Spätfrühjahr oder Frühsommer 1521, an Ulrich Zwingli. Der gutgelaunte und vertrauliche Tonfall macht deutlich, dass die Witwe Meyer und ihr Sohn schon zu diesem Zeitpunkt in einem engen Verhältnis zu dem Zürcher Leutpriester gestanden haben müssen. Der Brief beginnt mit einem leicht zu identifizierenden Horazzitat (epist. 1,4,14), das Gerolds Wohlbefinden verdeutlichen soll, und kehrt in einer Kreisbewegung dahin zurück. Dazwischen stimmt der Knabe einen in ansprechendem Latein verfassten und mit klassischen Anspielungen versehenen Lobpreis der Stadt Basel und ihres humanistischen Geisteslebens an, wobei er auch seinen neuen Lehrer (den oben bereits erwähnten Jacobus Nepos) rühmend erwähnt. Sogar der Gedanke einer translatio litterarum blitzt auf: Athen liege heutzutage in Basel. Eine solche Überlegung hat der etwa zwölfjährige Gerold natürlich nicht selbst ersonnen, sondern er demonstriert damit, dass er in der Schule gut aufgepasst hat. Es handelt sich bei diesem Schülerbrief unverkennbar nicht zuletzt um eine Art lateinische Stilübung, mit der Gerold seinem Mentor und künftigen Stiefvater beweisen will, dass er schon in der Lage ist, sich schriftlich in korrektem Latein auszudrücken. Er tut das mit Erfolg; Zwingli dürfte sich über diesen Brief gefreut haben.

 

Bibliographie

Baiter, H., «Ulrich Zwingli und Gerold Meyer von Knonau», Zwingliana 1/8 (1900), 161-163.

Farner, O., «Anna Reinhart: Die Gattin Ulrich Zwinglis», Zwingliana 3/7 (1916), 197-211 und 3/8 (1916), 229-245.

Sallmann, M., «Reinhart, Anna», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 17.08.2010, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010794/2010-08-17/.