Über das glückliche Leben
Johannes Fabricius Montanus
Einführung: David Amherdt (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 10.02.2023.
Entstehungszeitraum: terminus ad quem: Veröffentlichung der Poemata (1556).
Ausgaben: Poemata, Zürich, Gessner, 1556, 7-9; J. Gruterus, Delitiae poetarum Germanorum huius superiorisque aevi illustrium, Bd. 3, Frankfurt a. M., Fischer, 1612, 107-108; Amherdt (2018), 66-71.
Metrum: elegische Distichen.
In seinen beiden Elegien über das einfache Leben, der Elegie De beata vita, die wir hier präsentieren, sowie der Elegie De paupertate (carm. 7), präsentiert Montanus eine Art Kunst des glücklichen Lebens, wobei das Geheimnis des Glücks darin besteht, unter den Augen Gottes und in Gemeinschaft mit einer treuergebenen Gattin ein bescheidenes Leben zu führen; De paupertate fügt noch eine Dimension hinzu, die in De beata vita fehlt: die poetische Tätigkeit.
Um glücklich zu leben, muss man «gut leben» (V. 2), d. h. sich mit einer bescheidenen und einfachen Existenz auf dem Lande zusammen mit Frau und Familie zufriedengeben, um nach einem langen, arbeitsreichen Leben in Frieden zu sterben (V. 1-24; 37-52); Montanus trauert der Harmonie des goldenen Zeitalters nach, auf das gefahrvolle Reisen, Begierde und Luxus gefolgt seien (V. 25-36; s. auch V. 5-6). Die Atmosphäre ist ganz elegisch und besonders von tibullischen Tönen geprägt, doch stellt man eine kaum merkliche Modifikation der elegischen Themen im christlichen Sinne fest; auf diese Weise tritt die eheliche Liebe an die Stelle der Liebe zu der puella der römischen Elegie, und der Baumstumpf, die alten Steine und der Bauerngott, die besonders von Tibull geehrt werden, sind verschwunden. Die charmante Darstellung der Gattin, wie sie sich verschiedenen ländlichen Tätigkeiten hingibt (V. 42-52), erinnert stark an V. 21-34 der Elegie 1,5 des Tibull, wo dieser sich vorstellt, wie seine Geliebte Delia sich mit der Feldarbeit, dem Vieh und den Sklaven beschäftigt und das Essen vorbereitet.
Man kann festhalten, dass das Thema des ruhigen Lebens zusammen mit der treuergebenen Gattin und den Kindern auch in der antiken Elegie nicht ganz fehlt, denn Tibull selbst bekräftigt, dass diese Lebensart mehr wert sei als Perlen (2,2,11-16). Wenn die heidnischen Götter aus Montanus’ Elegie verschwunden sind, so tritt auch der christliche Gott nur ein einziges Mal in dem Gedicht auf, nämlich in V. 7, in einer Phrase, die das einfache Leben auf diskrete Weise christianisiert: «Frömmigkeit ist mit Gott zufrieden» (V. 7). Der Zürcher Pastor bekräftigt so die Kompatibilität der elegischen Gattung mit dem Christentum. Im Übrigen schliesst das Gedicht mit einem Gebet: Montanus bittet darum, es möge ihm beschieden sein, in seinem Leben und Sterben die Ratschläge in die Praxis umzusetzen, die er dem Leser hier erteilt.
Bibliographie
Amherdt, D., Johannes Fabricius Montanus. Poèmes latins. Introduction, édition, traduction et commentaire, Bern, Schwabe, 2018.
Amherdt, D., «Les Poemata de Johannes Fabricius Montanus: Un Enchiridion vatis Christiani?», in: C. Bianca u. a. (Hgg.), Acta Conventus Neo-Latini Monasteriensis. Proceedings of the Fifteenth International Congress of Neo-Latin Studies (Münster 2012), Leiden, Brill, 2015, 123-133.