Philargirus
Übersetzung (Deutsch)
Heinrich Pantaleon grüsst die verehrungswürdigen Herren, den Propst Johannes Sphyractes, den Dekan Nicolas Briefer und alle anderen erstrangigen Mitglieder des hoch ehrensweten St. Peter-Kollegs in Basel, seine Väter.
[…] Ich glaube aber die Nörgeleien einiger Leute zu hören, ein Kandidat der Theologie solle auf andere und geradezu nützlichere Pflichten seine Arbeitskraft verwenden; so als ob es etwas anderes gebe, das in einem solchen Masse grösser oder nützlicher ist, als mit der heiligen Gnade des Lehrens die Taten der Christen mit Gedichten zu feiern, obwohl auch nun die Beispiele von Griechen und Lateinern bekannt sind, die uns verdientermassen zu diesem heilsamen Studium anstacheln sollten. Was haben nämlich Prudentius, Sedulius, Iuvencus, Arator anderes getan und der heilige Hieronymus, als er über den Psalter spielerisch Hexameter verfasste. Was Laktanz, Gregor von Nazianz oder Apollinaris, jener in vielen Künsten sehr erfahrene: der (gemäss dem Zeugnis des Sozomenos) unter der Kaiserherrschaft des Julian, als das Jahr des Heils 365 war, anstelle eines homerischen Gedichtes in einem heroischen Gedicht hebräische Altertümer verfasste, bis hinauf zu den Zeiten Sauls des ersten Königs der Israeliten, ein Werk, das er im Ganzen in 24 Bücher aufteilte, um Homer zu folgen: er verfasste auch Komödien, Tragödien, lyrische Oden, wobei er Menander, Euripides und Pindar nachahmte, wobei ihm die Heilige Schrift den Stoff lieferte. Was soll man daraus machen, dass unser Erasmus, der Fürst der Theologen, uns auch einige Tragödien des Euripides in Latium als tragisches Gedicht geschenkt hat? Man berichtet, er habe sich der Lektüre der Komiker so eifrig gewidmet, dass er, als er kaum sechzehn Jahre alt war, schon die Komödien des Terenz auswendig konnte. Es ist uns also sicherer erschienen, diesen Männern zu folgen als die Schimpfereien einiger Nörgler zu vermeiden. […]
Prolog
In Trimetern
Jener Menander, Publius Terentius,
Der der festlichste der Komiker
Gewesen war, beklagt sich in allen seinen Komödien
Über die sehr zahlreichen üblen Eigenschaften des Zoilos.
Deshalb wird, vermute ich, diese unsere Arbeit
Auch nicht allen gefallen können, die sie lesen
Oder wenigstens hören. Ich höre Gemurre
Über eine neue Schamlosigkeit, weil
Wir hier in komischen Versmassen über heilige Dinge schreiben,
Und auch in den Versen schlechter Heiden.
Sie werfen uns auch vor, wir hätten vieles allzu frei
Zu der Heiligen Geschichte hinzuerfunden. Es gibt auch andere,
Die tadeln, dass wir hier deutsche Ausdrucksweise
Der lateinischen Redeweise in ungeschickter Weise eingefügt haben.
Diesen allen antwortet Sapidus ordentlich
In seinem Stück Lazarus, auf ihn ziehen wir uns zurück.
Aber ich weiss und bezweifle nicht, dass es Leute geben wird,
Denen der Stil um vieles zu gepflegt erscheinen
Wird. Aber an Terenz wird er gelobt.
Andere werden ihn zu dunkel nennen, die werden denken,
Dass eine solche zu Fuss gehende Schreibweise keineswegs
Die Nachteile vermeiden kann, die eine von Gesetzen freie Rede
Vermeiden kann. Jeder wird etwas anderes
Hinzufügen, etwa über Arroganz oder schwarze
Raben: denn es ist freilich viel einfacher
Fremde Werke und Arbeiten herunterzureissen
Und mit schändlichen Lästerreden als lächerlich zu verspotten
Als etwas Besseres oder ihnen Ebenbürtiges zu vermitteln.
Also bitte ich sie vielmehr, Ruhe zu geben und gnädig gestimmt zu sein,
Als eine so religiöse Arbeit hier aufgrund ihrer Missgunst
Zu kritisieren. Sie mögen guten Männern folgen,
Sie mögen wissen, wir haben uns nur bemüht, diesen zu gefallen,
Und ich glaube, dass wir mit dieser Leistung diese Männer nun von dem Ekel befreien werden,
Den sie sich zuvor aufgrund der Fabeln empfunden hatten,
Die manche aus einem mir unbekannten Grund zur Aufführung bringen,
Und zwar häufiger als es recht ist. Einen Palmenkranz
Versprechen sie sich davon, dass sie gute Komödien
Auf schlechte Weise allzu oft wiederaufkochen.
Denn neulich hat Pantaleon eine neue Komödie herausgegeben,
Die wir Euch hier liefern, keine eitle oder lächerliche.
Sondern eine wahre, heilige, reine und ernste.
Hier gibt es keinen Liebhaber von Jungfrauen, keinen Kuppler und keine
Schamlose Dirne, oder was die einfache Menge verletzen
Kann, wenn nur ein sehr gutes Publikum anwesend ist,
Sondern wir werden die fromme Konversion dieses Heiden
Haben, mit einem Beispiel von Reue
Und der Gnade Christi, durch die er zu den
Höchsten Gestirnen und zu den ewigen Freuden gelangt.
Daher soll ein aufrichtiger Liebhaber unserer Bemühung
Uns gütig Gehör schenken.
INHALTSANGABE DER KOMÖDIE
Senarische Verse mit einem Septenar
Nachdem der Senat den Philargirus geschickt hatte,
Diesen Mann, in die gute Provinz der Juden.
Damit er dort der Schiedsrichter unter den Steuereinnehmern wäre.
Der meint, ihm sei ein sehr angenehmer Ort geschenkt worden
Für seine Habsucht, er sucht nach Schätzen und verängstigt
Die von den Romulussöhnen Unterworfenen. Aber bald zeigt dieser Ort dem im Überfluss Lebenden
Die Gnade Christ, den von diesem hohen Baum hier
Anzuschauen beschlossen hat, von wo her ihn Christus beruft.
Er springt herab, er hört, er folgt, obwohl Cornelia
Seine Frau, ihn zurückruft. Aber die Menge der Fürsten
Des heiligen Gesetzes wütet, sie halten Rat.
Wie sie den Jünger und den Herrn bald verderben können.
Jesus aber macht ihre Ratschlüsse zunichte: Mit seinem Besitz
Erstattet der andere auf ehrliche Weise ihren Besitz denen, die er betrogen hatte,
Und teilt alles mit der Menge der Armen: Er freut
Sich mit Recht, ein Sohn Abrahams zu sein, zusammen mit seiner Familie.
Die Anfangsbuchstaben des lateinischen Textes ergeben das Akrostichon PHILARGIRUS DICOR: ich heisse Philargirus.
Dritter Akt, Erste Szene
Christus, Zachaäus, Petrus, Judas, Volk
Jambische Senare und Septenare
CH. Obwohl der Herr zu jeder Zeit das Volk Israel aus allen Völkern der Erde für sich und zu seinem Ruhme erwählt hat, haben sie es dennoch schon mit ihrer gewaltigen Undankbarkeit geschafft, dieses Amtes unwürdig zu werden. Zuerst verfehlten sie sich gegen Gottes heiligste Diener, später gegen die Propheten, und nun ist es Gottes dreifach grösster Sohn, den sie mitsamt den Geboten seines Vaters blindlings von sich weisen. Wehe euch, ungläubiges Volk, siehe, bald wird euer Haus verlassen dastehen, und das Wort Gottes wird nun an die anderen Völkern gegeben werden, die Gott und euch bisher abscheulich waren, und sie werden mit grösserem Ertrag im Weinberg des Herrn arbeiten. Aber damit ihr alle wisst, dass ich hier die Wahrheit spreche, werde ich freudig den geldgierigen Zachäus, den sie auch den Ersten unter den Zöllnern [Staatspächtern] nennen, und der dem so ungemein bösen Geld und den grössten Reichtümern nachhängt, der aber nun schon in dem hohen Baume dort müssig dasitzt, voller Eifer hierher in mein Reich rufen. Wenn ich erst auf dem laufenden Pferd sitze, wird es mir nicht schwer fallen, ihm die Sporen zu geben: woran die Bösen, die mein Wort missachtet haben, ihre Strafe merken werden, und die Sünder merken werden, dass die Gnade da ist. Heda, heda, Zachäus, was sitzt du da alleine müssig da? Steige nun aufs raschste herab, weil es nötig ist, dass ich heute mit meinen Jüngern in deinem Hause bleibe.
ZA. Was will er? Wen ruft er?
CH. He, Zachäus, ich rufe dich.
ZA. Ach, er ruft ja mich. Ich werde schnell herabsteigen. Herr, was ist? Hier bin ich: Befiehl mir, was du willst.
CH. Ich muss heute mit meinen Jüngern in deinem Hause bleiben.
ZA. Was, in meinem?
CH. Ja, in deinem.
ZA. Ach, Herr, ich bin ganz unwürdig, dass du unter mein Dach eingehst: denn ich bin ein Sünder. Ich verdiene eher, dass mich jetzt die Erde verschlänge meiner Ungerechtigkeit wegen.
CH. Schweige, Kamerad, keiner ist unwürdig, der sich hier für unwürdig hält, wenn er sofort mit wahrem Glauben diesen Christus umfängt; also folge mir auf der Stelle. Denn ich werde dir bald inwendig aufzeigen, auf welche Weise du leben sollst, als Liebhaber Christi und nicht als Liebhaber des Geldes.
ZA. Ich folge, wenn es dem Herrn so beliebt.
PE. Guter Gott, was macht der Herr da? Dieser Mann ist doch der grösste Verächter Gottes und seines Gesetzes. Ich fürchte tatsächlich, dass er durch diesen Umgang mit Zachäus seine gute Lehre ganz um ihren Nutzen bringt oder sie derart wenigstens bald Zweifeln aussetzt. Aber was meint Ihr dazu?
IU. Er handelt sehr trefflich, mit einem sehr guten Entschluss und mit höchster Klugheit. Denn wir sind arm, ziehen von hier nach dort und wissen nicht, wo wir nun Aufenthalt nehmen oder wo wir Essen bekommen können. Deshalb muss man reiche Leute [be]rufen, damit sie uns jetzt Essen zur Verfügung stellen.
PE. Diese Begründung reicht mir nicht. Denn wir hatten zwar bisher keinen Überfluss, litten aber dennoch keinen Mangel. Aber so liebt dein Geist immer die Schüsseln, weil du solche sammelst. Aber wir sollten dies beiseitelassen; der Herr tut es, der Herr hat es so beschlossen; der Herr ist vorangegangen, deshalb müssen wir ihm folgen, um zu sehen, wie diese Angelegenheit ausgeht.
IU. Also, gehen wir.
Der lateinische Kirchenvater Hieronymus (347-420). Die Quelle für die ier mit ihm verbundene Anekdote konnte nicht ausfindig gemacht werden.
Gregor von Nazianz (329-390), neben seinen Predigten und Briefen war der kappadokische Bischof auch für seine sehr qualitätsvollen Gedichte bekannt.
Der in Phönizien und Syrien wirkende Presbyter Apollinaris der Ältere, 4. Jh.
In der Tat liest man in einem Brief des Beatus Rhenanus an Hermann de Wied folgende Bemerkung über Erasmus (Opus Epistolarum Des. Erasmi Roterodami, hg. von P. S. Allen, Bd. 1, Oxford, 1992, 55, Z. 84-85): Terentii comoedias puer non secus tenebat ac digitos suos; memoria namque fuit tenacissima, ingenio perspicacissimo («Schon als Knabe kannte er die Komödien des Terenz in- und auswendig [wörtlich: so gut wie seine Finger]; denn er hatte ein ganz ausgezeichnetes Gedächtnis und einen äußerst scharfen Verstand»).
Johannes Sapidus (1490-1561; deutscher Name: Witz) stammte aus dem elsässischen Schlettstadt. Nach gemeinsam mit Beatus Rhenanus in Paris absolvierten Studien kehrte er in seine Geburtsstadt zurück und wurde dort (ab 1511/12) Rektor der Lateinschule. Seine prolutherischen Posititionen zwangen ihn 1526, Schlettstadt zu verlassen. Er übersiedelte nach Strassburg, wo er Rektor an einer der drei Latenschulen wurde und ab 1537 an dem neugegründeten Gymnasium unterrichtete, zu dem diese Schulen zusammengefasst worden waren und dessen Gründungsrektor sein Schwiegersohn, der Reformator Johannes Sturm, war. In dieser Zeit verfasste Sapidus seine Komödie über Lazarus (Anabion sive Lazarus redivivus), die im protestantischen Sinne die alleinentscheidende Bedeutung des Glaubens hervorhebt. Sie wurde im Frühjahr 1539 anlässlich der Einweihung eines neuen Schulgebäudes aufgeführt. Sie wurde oft nachgedruckt und diente anderen Dramatikern als Muster. S. zu seinem Leben und Werk F. J. Worstbrock, «Sapidus, Johannes», Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 2 (2012), 781-802.
. Sapidus, Anabion sive Lazarus redivivus, comoedia nova et sacra, Strassburg, Müller, 1539 (bis 1565 mehrmals nachgedruckt und 1557 ins Deutsche übersetzt). Eine moderne Edition: Johannes Sapidus, Anabion: 1540, hg. und übs. von W. F. Michael/D. Parker, Bern, Peter Lang, 1991.
Sapidus antwortet seinen Kritikern im Prolog seines Stückes.