Ein Brief über Standhaftigkeit im Glauben an Jacques Daléchamps
Traduction (Allemand)
Conrad Gessner grüsst den Herrn Jacques Daléchamp, einen ausgezeichneten Arzt.
Heil und Frieden vom Herrn. Ich freue mich, dass Du lebst und für uns überlebt hast, würdigster Mann, inmitten solcher Unruhen. Gott möge geben, dass Du auch im Geiste lebst, jetzt dieses sterbliche, später das bessere und unsterbliche Leben. Ich bedaure, dass Deine Angelegenheiten so niedergeschlagen und vermindert worden sind, aber trage es mit Gelassenheit, bis Gott Dir bessere Verhältnisse gewährt, der Dich vielleicht bei dieser Gelegenheit und durch diese Unglücksfälle jetzt väterlich züchtigen und danach in bessere Verhältnisse versetzen will. Es schmerzte mich in der Tat in meinem ganzen Herzen sehr, als ich hörte, dass Du, ein Mann von grosser Gelehrsamkeit und Autorität von unserer Religionspartei abgefallen bist. Dazu trieb Dich vielleicht die Unbesonnenheit und Schlechtigkeit einiger Leute, über die Du dich beklagst, aber Du hättest doch so fest an das Wort Gottes gebunden sein und an ihm hängen sollen, dass Du Dich von keiner Gewalt, von keinem Unrecht davon wegtreiben liessest. Verzeihe mir, mein liebster Daléchamp. Wegen meiner Liebe zu Dir, wegen Deiner Tugenden und Deiner Wohltaten gegen mich, werde ich mit Dir wie ein Vertrauter umgehen, so als ob ich Dir seit der Knabenzeit eng verbunden oder Dein leiblicher Bruder gewesen wäre. Du bist allzu aufgeregt gewesen und hast nicht gründlich jenes Wort bedacht: «Suchet zuerst das Reich Gottes, und das Übrige wird Euch hinzugegeben werden.» Du hast bei den Feinden unserer Religion einen grösseren Pomp und eine grössere Kraft gesehen als bei den unseren, und auch einen grösseren Gewinn und grössere Ehren hast Du bei jenen gesehen; und einige Sünden der unseren; ich bezweifle nicht, dass sie gross sind, aber sie sind dennoch nicht so beschaffen und nicht so gewaltig, dass du ihretwegen dem Antichristen und seinen Gliedern auf den Leim gehen und ihnen Dein Heil hättest anvertrauen müssen. Aber vielleicht zweifelst Du, ob der römische Pontifex jener Antichrist sei, der von so vielen Orakeln vorhergesagt worden ist oder Du behauptest sogar, er sei es nicht.
[…]
Anerkenne, anerkenne, dass Du ein grosser Sünder bist; an grosser Gnade aus jenem einzigen und grenzenlosen Gnadenquell wird es Dir nicht fehlen. Lasse die einfache Wahrheit zu, verwirf alle Hinzufügungen. Ich schicke Dich nicht, Bruder Daléchamp, wieder zurück zu den neuen Büchern unserer Leute, von Calvin, Luther, Viret und anderen, obwohl ich jene für Werkzeuge Gottes halte und meine, dass in ihren Schriften das meiste heilig und fromm geschrieben ist. Ich sehe, dass jene Menschen sind und irren können. Ich schicke Dich nur zum Alten Testament zurück; wie es das älteste literarischen Dokument ist, so gibt es auch nichts Wahrhaftigeres seit Begründung der Welt und so existiert es mit ein und derselben Wahrheit, mit einem sehr einfachen und dauerhaften Heilsweg im Himmel und auf Erden. Ja, zu diesem beständig fliessenden Quell wahrer Lehre und Frömmigkeit, und zu dem Neuen Testament, das gleichsam wie ein Fluss lebendigen Wassers aus ihm herausfliesst, und zu seiner Deutung schicke ich Dich zurück. Und könnte ich Dich doch auch irgendwie gewaltsam zwingen, wenn Du nicht willst. Aber ich bitte Gott, dass er Dich zwingt und antreibt. Die Patriarchen mögen Dich belehren, die Propheten, die Apostel, Christus selbst. Sei ihr Schüler und Zuhörer. Bete, lies, betrachte, vergleiche die zweifelhaften, dunklen und scheinbar widersprüchlichen Schriftstellen mit anderen, lies sie immer wieder. Zweifelsohne wird der angerufene Geist des Herrn bald da sein, entweder sofort oder nach kurzer Zeit (auch wenn man ihm Vorschriften weder machen kann noch darf), der Dich die ganze Wahrheit lehren möge und Dich vor allen Unfällen und Gefahren schütze, Dich tröste, Dir Kraft gebe; wenn das eintritt, wird eine ungeheure Verwunderung Deinen Geist erfassen und gleichsam das Staunen eines Mannes, der in eine andere Welt versetzt, in ein anderes Leben hinein wiedergeboren worden ist...
[…]
Lebe glücklich im Herrn und schreib mir zurück. Du kannst Deinen Brief aber entweder nach Genf an Henri Estienne oder wen immer Du willst, oder nach Lyon an Gryphius schicken. Die Antwort auf Deinen vorangegangenen Brief verschiebe ich auf einen Zeitpunkt, in dem mehr Ruhe herrscht. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass der beste und grösste Gott für Euch diese Ruhe baldmöglichst mitsamt der Ausbreitung seines Ruhmes wiederherstellen möge.
Zürich in der Schweiz, Conrad Gessner an seinen Freund Jaques.
Ich konnte das Geschriebene nicht noch einmal überlesen; du wirst ergänzen, was es zu wünschen übrig lässt.