Eine chorographische Beschreibung der berühmten Stadt Bern mitsamt dem gesamten Gebiet und allen Provinzen ihres Herrschaftsbereichs

Traduction (Allemand)

Traduction: Clemens Schlip (französischer Originaltext der Anmerkungen von Kevin Bovier)


Praefatio, fol. 1ro, 2ro, 3ro, 5ro-6ro

Der Autor wünscht den erhabenen Herren, die sich durch adelige Abstammung, Frömmigkeit, Klugheit und Tugend auszeichnen, den Schultheissen und Räten der berühmten Stadt Bern, seinen höchstmilden Herren, die er aufs höchste ehren muss, Freude und immerwährenden Frieden.

[Der Brief beginnt mit einer langen Reflexion über das Entstehen, den Aufstieg und den Fall von Staaten. Schöpf stützt sich dabei auf mehrere biblische Passagen (Jes 49,23; Jes 60,10; Jes 60,12; Jes 60,16; Si 10,8), um zu beweisen, dass der Untergang eines Staates auf die Gottlosigkeit seiner Bürger zurückzuführen ist. Laut ihm bedient sich Satan der verdorbenen menschlichen Natur, um den Staat zu destabilisieren und seinen Zusammenbruch herbeizuführen.]

Da ich dies bei mir sorgfältig bedachte und meine geistigen Augen durch die Imperien, Reiche und Staaten aller Zeiten schweifen liess und darüber nachsann, wie sehr sie einst in Blüte gestanden hatten und nach ihrem Untergang heute nur noch Asche seien, begann ich, einen Blick auf diesen unseren Staat zu werfen und mir in Erinnerung zu rufen, bei welcher Gelegenheit er zuerst gegründet wurde, unter welchen Vorzeichen er seinen Anfang nahm und durch was für eine Zunahme er derart angewachsen sei. Nachdem ich diese Dinge intellektuell durchgegangen war und ein wenig gründlicher untersucht hatte, habe ich leicht erkannt, dass dieser Staat vor langer Zeit durch die einzigartige Vorsehung Gottes entstand, von ihr bis heute unterstützt, gelenkt wurde und zu einem derart hohen Niveau von Ruhm, Macht und Glanz nur durch göttliche Einwirkung geführt worden ist.

[Schöpf erinnert daran, dass er Berner Bürger geworden ist, und zählt die Tugenden auf, durch die sich die Berner Magistrate auszeichnen; dank ihnen führen die Bürger ein friedliches und ehrbares Leben, das den Empfehlungen des heiligen Paulus entspricht (1 Tim 2,2).]

Und da ich die Grösse dieser göttlichen Wohltat erkannte und diesbezüglich noch ein wenig aufmerksamer über unseren Staat nachdachte, ergriff mich eine ungeheure Lust, seine geographischen Verhältnisse in den Stunden, die mir meine Amtspflichten zur freien Verfügung lassen, zu beschreiben, teilweise um öffentlich kund zu tun, wie ehrenvoll ich über diesen Staat denke und wie ich für ihn empfinde, teilweise auch, um meine Pflicht gegenüber ihm zu erfüllen, wie es sich für einen dankbaren Bürger geziemt; und wenn ich ihm nicht nützlich zu sein vermochte, habe ich gewünscht, ihm nützlich zu sein.

Ich nahm daher die Feder in die Hand und habe in den hier vorlegenden zwei Büchlein das ganze Staatsgebiet mit allen Provinzen und Nachbargebieten beschrieben, und zwar nicht unter historischen, sondern unter chorographischen Gesichtspunkten, das bedeutet mit Blick auf die eigentümliche Lage jedes Ortes und die Beschaffenheit seiner Lage; daraus lässt sich die richtige Länge und Breite jedes Ortes und jedes Dorfes erfahren. Im Rahmen der gleichen Arbeit habe ich veranlasst, dass das gesamte Herrschaftsgebiet auf eine Karte gezeichnet und zum Studiengegenstand wird; als ich diese Karte fertiggestellt und einigen Männern aus dem Ratsherrenstand gezeigt hatte, die sich durch ihre Autorität und Klugheit auszeichnen, gingen diese daran, unseren hocherhabenen Rat zu überzeugen und zu bitten, dass er es mir ermöglichen möge, diese Karte öffentlich zu machen.

[Im Folgenden geht es um die gedruckte Karte der Region Bern. Schöpf verteidigt sein Projekt gegen diejenigen, die darin eine Blasphemie sehen, ähnlich der Volkszählung unter König David, die Gott mit Strafe belegt hatte (1 Ch 21), und gegen diejenigen, die ihm vorwerfen, er liefere den Feinden Berns auf diese Weise Informationen. Er hebt gleichermassen die Nützlichkeit dieser Karte hervor: Die Frommen könnten mit ihrer Hilfe feststellen, wie weit sich das Evangelium auf dem Territorium verbreitet habe; die Sachverständigen könnten auf sie bei der Erfüllung ihrer Pflichten zurückgreifen; die Reisenden könnte mit einem Blick alle Orte betrachten, ihre Entfernungen voneinander abschätzen und noch andere Informationen daraus ziehen.]

Die beiden Bücher, die ich verfasst habe, sind, auch wenn ich sie nicht öffentlich publizieren will und das auch gar nicht erlaubt ist, sehr nützlich für den Rat, für die Ämter und besonders für die ὀικαρχιγραμματεῖα (Buchführung); das wird die Reihenfolge deutlicher machen, die ich bei ihrer Abfassung eingehalten habe, sowie ein sehr reichhaltiger Index. Als erstes habe ich nämlich die vier Vorstadtdörfer dargestellt, die Pfarreien besitzen; hierauf die inneren Amtsbezirke, die man Landgerichte nennt; dann die äusseren, die im deutschsprachigen Gebiet liegen, in der Reihenfolge, die sie in Kriegszeiten oder bei Auszügen beachten, und das habe ich alles im ersten Buch getan.

Im zweiten Buch aber geht es um fast alle Amtsbezirke, die vor 41 Jahren im Krieg mit Savoyen erworben worden sind; zu ihnen kamen aufgrund ihrer Nachbarschaft noch die vier gemeinen Herrschaften hinzu, weil man in ihnen dieselbe Sprache spricht. Jedes Buch habe ich am Ende mit einem eigenen Index versehen.

Beim Schreiben habe ich fast immer folgendes Verfahren beachtet: Ich habe den Amtssitz einer jeden Landschaft angegeben, welcher Ort er ist und wie er beschaffen ist; ich habe seine Lage und die besonderen Verhältnisse seiner Lage geschildert; seine Entfernung von der Stadt [Bern] oder einem anderen benachbarten wichtigen Ort habe ich richtig angegeben, auch wie viele und was für Dörfer zu den einzelnen Pfarreien gehören, ihre Lage und ihre Entfernung von der Pfarrkirche und vom Amtssitz. Ebenso Berge, Fluss- und Bachquellen, Brücken, Wälder, Seen, zumindest die wichtigeren Täler, Grenzen, Grenzsteine, Ruinen bedeutenderer Gebäude und Ähnliches dergleichen, was man in einem Amtsbezirk finden kann, habe ich aufs sorgfältigste notiert.

Da diese meine beiden Bücher und meine Karte des Berner Territoriums einen so grossen Nutzen für private und öffentliche Nutzer bieten, vertraue ich darauf, dass diese meine Arbeit, die mir einige Male von respekteinflössenden Männern abverlangt wurde, Euch, hochbedeutende Männer und meine Herren, die ich allezeit hochachten muss, nicht unerwünscht sein wird, da ich sie ja in Eurem Namen weihe und Eurem Schutz anvertraue, und das aus keinem anderen Grund, als um mit diesem kleinen Werk, wie es auch beschaffen sein mag, Euch gegenüber zu bezeugen, dass ich um diesen Staat besorgt bin, und öffentlich auf wahrnehmbare Weise zu erklären, dass ich mich mit ihm beschäftige und ihn liebe. Nehmt es also mit mir gewogener Geisteshaltung an, hochmilde Herren, verteidigt es und zieht Nutzen daraus und beweist mir auch künftig aufs intensivste Eure Gunst, die ihr mir ja auch bisher habt zuteilwerden lassen. Ich aber, da ich zu mehr nicht in der Lage bin, bitte Gott, den allmächtigen Vater unseres Herrn Jesus Christus, und rufe ihn mit glühendsten Bitten und aus innerstem Herzen an, dass er dieser Euer Staatswesen schützen, behüten, verteidigen, unterstützen, mehren und in immerwährenden Frieden bewahren, Euch aber und Eure Herzen mit seinem Heiligen Geist erleuchten, umstimmen, leiten und alle Eure Ratschlüsse und Handlungen so lenken möge, dass wir, Wir, Eure Untergebene, ein ruhiges und friedliches Leben in aller Frömmigkeit und Ehrsamkeit führen können.

Aus meinem Musensitz, im Jahre nach Christi Geburt 1577.

Eurer Milde ergebenster Diener Thomas Schöpf, Doktor der Medizin.

 

[Über den Grimselpass und die Quelle der Aare]

fol. 73vo-74ro

Der Grimselpass ist sehr steil und in den Wintermonaten wegen beständigen Schneefalls ganz unwegsam; er setzt den Furka als Vorgebirge fort; auf seinem Gipfel ist eine jäh abfallende Kluft, in welche die Grenzen eingeschnitten sind, die uns, die Walliser und (wenn ich mich nicht täusche) die Urner voneinander trennen; man nennt sie Hausegg. […]

Das Spital ist dort das einzige Haus und dient als öffentliche Herberge für die Reisenden; es liegt am nördlichen Bergfuss des Grimselpasses neben einem kleinen See und bleibt im Winter mindestens fünf Monate lang verlassen. Denn der Wirt lässt dort alle Arten von Milchprodukten, Brot, Holz und Leuchtmittel zurück, verlässt dann für die Dauer des Winters diesen Platz und begibt sich in irgendeine wohnliche Gemeinde; das geschieht deswegen, damit Leute, die dort reisen, wenn sie in einen plötzlich eintretenden Schneefall oder in irgendein anderes ungünstiges Wetter geraten, dort Lebensmittel vorfinden. An der westlichen Flanke des Grimselpasses bricht sich durch zerklüftete Felswände und durchschnittene Felsen hindurch ein kleiner Fluss mit mächtigem Gebrause und grosser Energie Bahn und sammelt sich in einer Grube wie in einem Becken; alle, Gelehrte ebenso wie Ungelehrte, hielten ihn bisher für die Quelle der Aare, obwohl doch ihre wirkliche Quelle von diesem Ort sieben Stunden Fussweg und mehr entfernt liegt.

fol. 114ro-vo

Der dritte Berg heisst Schreckhorn, was auf Latein ein krummes oder schreckliches Horn bezeichnet. Beide Namen aber passen sehr gut zu diesem Berg: Zum einen hat er im Vergleich zu den anderen Bergen in der Nachbarschaft ein schräges oder vielmehr schiefes Aussehen; sodann ist sein Gipfel so spitz, dass viele ihn als Nadel bezeichnen, und daher erschreckt er die Jäger zunächst sehr durch sein Aussehen. [...]

Am östlichen Fusses dieses Berges beginnt ein Tal, das sich bis zum Grimselpass erstreckt, es ist sehr unwirtlich und von ewigem Eis bedeckt, so dass es überhaupt nicht nutzbar ist, ausser für die Jäger und für die, die Bergkristall ausgraben, wovon es an jenem Ort eine grosse Menge gibt. Und weil jenes Tal die Form eines Bootes oder eines Kastens hat, heisst es Inn Arch, und daher hat auch jener edle Fluss, die Aare, seinen Namen erhalten. Die Aare windet sich durch das ganze Gletschertal und stürzt oft mit grossem Getöse von den Felsen herab, wie in Wasserfällen durch die Risse des porösen Gesteins; schliesslich taucht sie unter die Felsen und das ausgehöhlte Eis und verschwindet bis zum Fuss des Grimselpasses, wo sie schliesslich mit der Schüttung einer regelmässigen Quelle und mit grossem Ungestüm hervorsprudelt; Aus diesem Grund haben bisher alle, Gelehrte wie Unwissende, geglaubt, die Quelle der Aare befinde sich an dieser Stelle, obwohl sich ihre wahre Quelle am östlichen Fuss des Schreckhorns, in der Nähe des Ortes In Arch.