Vadians Tod und sein Erbe (Auszüge aus der Vita)
Traduction (Allemand)
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Nachdem schon der Zeitpunkt gekommen war, an dem gemäss der Festlegung des Herrn die von Sorgen und Mühen erschöpfte Person dieses höchstweisen Mannes zur ewigen Ruhe und zur Unsterblichkeit hinübergeleitet werden sollte und seine Krankheit schon begonnen hatte und er fühlte, dass er von der langsam voranschreitenden Krankheit mehr und mehr aufgezehrt wurde, rief er am 28. Januar [1551] die vornehmsten Männer des Staates in sein Haus: den Bürgermeister Ambrosius Schlumpf, die Unterbürgermeister Jacob Merz und Joseph Friedrich, seinen Schwiegersohn Laurentius Zollikoffer und den Stadtschreiber Thomas Fechter, im Übrigen die Kirchenpastoren und Kirchendiener Johann Valentin Fortmüller, Antonius Zilius und mich und meinen Sohn Josua, und nachdem er – von Anfang an im Besitz seiner Geistesgegenwart – hochgesinnt seinen Glauben an Jesus Christus, der für uns die Weisheit von Gott her geworden ist (und die Gerechtigkeit, die Heiligung und die Erlösung) in einem beredten Bekenntnis zum Ausdruck gebracht hatte, vertraute er mit höchster Sorgfalt die Kirche der Wachsamkeit der Hirten an. Hierauf wendete er sich an die Bürgermeister und ermunterte sie gleicherweise, den Staat von St. Gallen als eine ihnen ganz besonders anvertraute Sache in Händen zu halten und ihre Arbeit bei seiner Verwaltung gerecht und gut zu machen. Schliesslich überreichte er dem Bürgermeister ein Buch, das ein Katalog aller seiner Bücher war. «Seht», sagte er, «beste Männer, meinen Schatz, die besten Bücher in jeder literarischen Gattung; als ihrer aller Erben setze ich nun den Staat von St. Gallen ein, aber ich beschwöre und bezeuge dennoch: unter der Bedingung, dass der Senat für sie zum Nutzen der Bürger einen Ort auswählt und sich zugleich darum sorgt, sie alle zu bewahren.»
Also waren auch die Legate enthüllt, die er klug festgesetzt hatte, und er war endlich von Sorgen frei und wendete sich ganz frommen Betrachtungen und den Tröstungen der ganzen Heiligen Schrift zu. Hier kann ich im Weiteren nur wiederholen, was ich auf die Forderung des hochberühmten Heinrich Bullinger hin über den Tod des frisch verstorbenen Vadian in grosser Trauer geschrieben hatte. Aufgrund unserer wechselseitigen Freundschaft besuchte ich den besten Vater oft aus eigenem Antrieb, oft auf seinen Ruf hin, weil ich wusste, dass meine Gegenwart ihm nicht unerwünscht sei, nicht weil jener irgendeinen Trost meinerseits gebraucht hätte, sondern weil er seiner Frömmigkeit entsprechend in angenehmer Weise mit mir zusammen nachdachte, ich aber seine hochgelehrten Reden hörte und in seiner Lehre und Menschlichkeit Ruhe fand, solange das Schicksal es zuliess. Wenn in der Zwischenzeit ihm eine trostreiche Schriftpassage aufgefallen war, dankte er bald mit gefalteten Händen und zum Himmel erhobenen Augen Gottvater für seine uns in Christus erwiesene Wohltätigkeit und es tat ihm leid, dass er nicht alle derartigen Schriftstellen im Gedächtnis behalten hatte. Unter anderem wollte er, dass man ihm die Hauptabschnitte der Rede vorläse, die Christus beim Mahle hielt, als er sich dem Tode näherte, ausserdem einige Hauptabschnitte aus dem Hebräerbrief. Als wir dies taten, sprach er – gute Götter, mit welchem Ernst, mit welcher Bildung – über das ewige Priestertum Christi. Du hättest einen Schwanengesang hören können, hochgelehrter Bullinger. Manchmal wetterte er, erregt durch die Unwürdigkeit dieser Angelegenheit, gegen das abscheuliche Gräuel der Opferpriester, die das Opfer Christi in so blasphemischer Weise profanieren.
Und so war er auch, da er im Sterben lag, ganz er selbst in der Bekräftigung der wahren Religion und der Abwehr der falschen. Und Vadian blieb sich so gleich, dass seine Beredsamkeit, seine Bildung und seine Klugheit nichts vermissen liessen, davon abgesehen, dass seine Stimme ein wenig klangvoller hätte sein können. Alle seine Qualen, die sehr beträchtlich waren aufgrund der Anspannung der durch die Achselhöhlen verlaufenden Nerven ertrug er duldsam mit einer Geduld, die eines Christen würdig war. Mit unauslöschlichem Durst begehrte er nach kaltem Wasser, an dem er seit seiner Kindheit sehr grosses Vergnügen fand. Wenn man es ihm verweigerte (um dem Kranken nicht noch mehr Schmerz zu schaffen), wandte er sich (in einer sehr frommen übertragenen Bedeutung) dem heilbringenden Quell des lebendigen Wassers zu, zu dem Christus die Samaritanerin und hierauf wie einst durch Esaias[ alle einlud und netzte daran mit einem sehr grossen Schluck die Lippen seines dürstenden Geistes. Hinsichtlich der Wiederherstellung seiner Gesundheit war er wenig aufgeregt, weil er sofort von Anfang an die irdischen Angelegenheiten geringeschätzt hatte; er hatte nämlich als erfahrener Arzt gespürt, dass diese Art von Krankheit mit dem Tod verbunden war; dennoch verschmähte er die ärztliche Hilfe nicht.
Und als er gemerkt hatte, dass seine Kräfte ihn ganz verlassen hatten, griff er nach dem Büchlein des Neuen Testaments, das er als Handexemplar verwendet hatte: «Siehe», sagte er, «Kessler, Dir gebe ich dieses Testament, das mir auf Erden das Liebste ist, zum dauerhaften Andenken an unsere Freundschaft.» Nachdem er aber schliesslich am Ende seines Lebens aufgehört hatte, zu sprechen, bezeugte er mit einem Nicken seinen Glauben und richtete seine Augen auf mich, der ich mit kräftiger Stimme Christus anrief, der uns genügt, ergriff mit seiner Rechten die meine, drückte sie nach Art eines Mannes, der einem zustimmt oder einem Lebewohl sagt, und entschlief in angenehmer Weise im Herrn.
Er wurde bei seinen Eltern und Ureltern bestattet; das Vaterland trauerte sehr um ihn. Es war ihm nämlich klar, welche Zierde und welchen Gewinn zugleich es mit diesem Vater des Vaterlands verloren hatte. Der Senat aber entsann sich der Wohltätigkeit Vadians und daher wurde durch ein Dekret von ihm gemäss dem Willen des Erblassers ein Ort zur Aufbewahrung seiner Bücher und zugleich zum Aufbau einer öffentlichen Bibliothek bestimmt, und man befestigte dort eine Tafel zum feierlichen Andenken des Urhebers, mit folgender Inschrift:
Joachim Vadian, Dichter, Redner, Arzt, Erretter der Geographie, besonders in den Heiligen Lehren und auch im Studium aller Lehren (wie die unsterblichen Monumente seines Genies bezeugen) der herrlichste Mann dieser Bürgerschaft von St. Gallen, als höchst wachsamer Bürgermeister ausgezeichnet durch höchste Klugheit und Humanität. Da er sich aufs eifrigste um den Ruhm des einen Christus und das Heil des Vaterlandes sorgte, und seine Heimat erklärtermassen nicht einmal als Toter im Stich lassen wollte, setzte er als erster den Staat von St. Gallen als Erben aller seiner Bücher ein, um eine öffentliche Bibliothek einrichten zu lassen. Durch die Klugheit und Treue des Senats und seine ausserordentliche Grosszügigkeit gegen die frommen und ehrenwerten Studien ist dieser Ort hier bestimmt worden, um diese schönste Zierde zu bewahren und sie täglich immer mehr durch die Schriften berühmter Männer zu bereichern. Daher wird es Eure Aufgabe sein, beste Bürger, Eure Studien nach dem Unterricht und dem Beispiel des Erblassers zu ordnen und diese guten Studien dankbar zu geniessen, mit denen sich der hochherrliche Mann so erfolgreich beschäftigt hat. Er verstarb am 6. April 1551 mit 66 Jahren; er war achtmal Bürgermeister.
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Auch die folgenden Sterbeszene (bis: «entschlief in angenehmer Weise im Herrn») entnimmt Kessler weitgehend unverändert seinem bereits erwähnten Brief an Bullinger (vgl. Anm. 2 und die Einführung); s. auch unseren kritischen Apparat.
Aus dieser Angabe ergäbe sich das Geburtsjahr 1484. Gamper (2017), 323-324 argumentiert allerdings für den 1. Dezember 1483 als Vadians Geburtstag. Da dieses Problem für unsere Textpräsentation irrelevant ist, verweisen wir hier nur auf seine Diskussion der Frage.