Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae
Heinrich Pantaleon
Einführung: David Amherdt et Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 24.04.2024
Entstehungszeitraum: Die ersten beiden Bände dieser Biographien wurden 1564-1565 verfasst; der dritte 1565-1566. Die Notiz über Tell, die sich im zweiten Band findet, wurde vor dem 1. April 1565 verfasst (dem Datum des Widmungsbriefes). Der terminus ad quem der vier anderen Einträge ist der Erscheinungstermin des dritten Bandes (die Widmungsepistel datiert von 1566, ohne genauere Präzisierung).
Ausgabe: H. Pantaleon, Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae, Bd. II, Basel, Brylinger, 1565, 310-312. Bd. III, Basel, Brylinger, 1566, 51, 94-95, 262-263 und 563/565.
1. Die Prosopographia heroum
Der Basler Protestant Heinrich Pantaleon (1522-1595) veröffentlichte 1565-1566 die drei Bände seiner Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae («Prosopographie der Helden und berühmten Männer des ganzen Deutschland»). Der erste Band beginnt mit dem Leben Adams, der zweite mit dem Karls des Grossen, und der dritte mit dem Kaiser Maximilians I. Die letzte Notiz des Werkes ist die Autobiographie des Pantaleon, die wir hier präsentieren (s. unten, Abschnitt 3). In seinem Werk betrachtet Pantaleon die Geschichte unter dem Gesichtspunkt einer politischen und kulturellen translatio (translatio imperii et translatio studii): Germania wird zur Nachfolgerin des römischen Reiches und bringt die Nachahmung der Antike zur Vollendung.
Die drei Bände enthalten etwa 1700 biographische Einträge. Jeder der Einträge wird von einem Porträt begleitet, von denen nur etwa 50 naturgetreu sind; das trifft etwa auf das Porträt des Pantaleon selbst zu; keines der Porträts zu den vier andeen hier präsentierten Einträgen entspricht der Realität. Bei der Erstellung seiner Artikel griff der Basler vor allem die Werke von Johannes Aventinus, Sebastian Münster, Johannes Stumpf, Johannes Sleidanus, Johannes Trithemius und Conrad Gessner zurück. Was die Wahl der literarischen Gattung angeht, so könnte sich Pantaleon vom Scriptorum illustrium maioris Brytaniae Catalogus des John Bale, vom Martyrologium des John Foxe und vor allem von der Elogia virorum litteris illustrium des Paolo Giovio inspirieren haben lassen.
Pantaleons Sammlung ist ein Katalog von exempla. Er selbst sagt übrigens, dass sein Werk eine via ad virtutes ist und dass er ad vitanda vitia schreibt. Ein «Held» (heros) ist für ihn jemand, der etwas Nützliches für seine Zeitgenossen geleistet hat und der es wert ist, bewundert und nachgeahmt zu werden, sicher auch aufgrund militärischer oder politischer Taten, aber vor allem aufgrund seiner Tugend, seiner Verteidigung der Religion, seines Kampfes für die schönen Künste oder die Theologie; dies gilt insbesondere für die Helden im dritten Band, der sich mit der humanistischen Epoche befasst. Pantaleon hingegen schliesst aus Prinzip und grundsätzlich Figuren aus, deren beispielhaftes Leben zweifelhaft ist: Er gehört nicht denen, die meinen, man müsse die Laster und ihre verhängnisvollen Folgen zeigen, um den Leser davon abzulenken.
Schliesslich sei noch angemerkt, dass der Basler, dessen Ziel, wie gesagt, in erster Linie moralischer Natur ist (Vorstellung exemplarischer Menschen aus allen Bereichen, insbesondere den Gebieten des Wissens und des Glaubens) und der ein monumentales Werk produziert, das eine titanenhafte Arbeit erfordert hat, nicht versucht, durch seinen Stil zu glänzen, etwa durch die Nachahmung der Alten, durch Sprachforschung oder einen besonders kräftigen Ton. Seine Einträge sind oft ein Flickenteppich aus stereotypen Formulierungen, Übernahmen oder Zusammenfassungen früherer Autoren, Texten, die er gerade zur Hand hatte, aber auch persönlichen Informationen (Erinnerungen, Notizen), was den Eindruck eines etwas heterogenen Werks vermittelt.
2. Der Eintrag zu Wilhelm Tell (Text 1)
Unter den von Pantaleon ausgewählten Persönlichkeiten befindet sich Wilhelm Tell, der am Anfang des ihm gewidmeten Artikels als «Urheber der Schweizer Eidgenossenschaft» bezeichnet wird. Pantaleons Quelle für diese Notiz ist der Bericht des Johannes Stumpf. Der Artikel beginnt mit einer Darstellung des historischen Kontexts und präsentiert die Geschichte Wilhelm Tells als einen Kampf gegen die Tyrannei. Dennoch achtet der Autor darauf, keine Spitzen gegen den Kaiser einzubauen, nein, er lobt ihn sogar; das wahre Ziel seiner Angriffe sind hier die Herzöge von Österreich (die Habsburger) und, allgemeiner gesprochen, die adeligen Nachbarn, die sich zu Herren des Schweizerlandes machen wollen, indem sie die augenblickliche Schwäche des Heiligen Römischen Reiches nach dem Tod Heinrichs VII. und des anschliessenden Nachfolgestreits ausnutzen. Tell wird als eines von vielen Opfern dieser Unterdrückung dargestellt, die unter anderem von Gessler repräsentiert wird. Der Bericht enthält alle traditionellen Episoden: Den Hut auf dem Platz von Altdorf, die Prüfung durch den Apfelschuss, den Sturm auf dem See und Tells Entkommen, und schliesslich den Tod des Landvogts. Das persönliche Unrecht, das Wilhelm Tell erleidet, wird dann zum Auslöser einer kollektiven Erhebung gegen die Tyrannen, wie Pantaleons Schlussbemerkung zeigt.
Man wird Pantaleon dennoch nicht zu den Schweizer Patrioten im eigentlichen Sinne rechnen können, da er, wie der Titel seines Werks zeigt, die Zugehörigkeit zu einer grösseren, deutschen Gemeinschaft im Auge hat, die sich im Heiligen Römischen Reich inkarniert. Der Basler legt hier die Idee einer Gemeinschaft dar, die sich zum einen durch ihre Sprache definiert und durch ihre Fähigkeit, sich vor den anderen Nationen hervorzutun, zum anderen aber durch ihre Zugehörigkeit zu einer grösseren kulturellen Gemeinschaft: der der lateinischen Sprache.
3. Drei Einträge zu Schweizer Humanisten (Texte 2-4)
Die Texte 2-4 sind drei Schweizer Humanisten gewidmet, die im dritten Band der Prosopographia (über das 16. Jahrhundert) erwähnt werden: Heinrich Lupulus, Johannes Froben und Theodor Bibliander.
In diesen Notizen fällt zunächst auf, dass Pantaleon stereotype Angaben zur Ausbildung dieser drei Personen macht, die alle von Kindheit an eine hervorragende Ausbildung genossen und sich den schönen Künsten, den Sprachen usw. widmeten. Die Betonung der Bildung, die sich praktisch in allen Einträgen des dritten Bandes der Prosopographia findet, ist kein Zufall: Für Pantaleon, der die «Helden» (heroes) Deutschlands (Germaniae) untersucht, ist der wahre Held nicht in erster Linie der mächtige Mann oder der Mann von edler Abstammung, sondern derjenige, der seine Grösse dem höheren Studium verdankt und sich in den Dienst der zivilen oder religiösen Gesellschaft stellt. So sind im dritten Buch (dem der grossen Zeit des Humanismus im Norden Europas) von den 584 Helden, die das Buch zählt, 383 keine Adligen.
Ein weiterer interessanter Aspekt dieser drei Einträge ist, dass sie es ermöglichen, Pantaleons Quellen und seinen Umgang mit ihnen zu untersuchen, wobei er sie meist wörtlich (ohne kritische Reflexion) zitiert und am Ende des Eintrags immer seine Quelle, zumindest seine Hauptquelle, angibt, ohne jedoch genaue Quellenangaben zu machen. Wenngleich Gessners Bibliotheca universalis eine der Hauptquellen Pantaleons ist (und hier insbesondere im Eintrag zu Bibliander), sind seine Quellen äusserst vielfältig und reichen von Erasmus’ Briefen bis hin zu Myconius’ Zwingli-Biographie.
Ein bemerkenswertes Detail ist, dass Pantaleon am Ende des Eintrags über Bibliander, nachdem er die wissenschaftliche Arbeit seines «Helden» gelobt hat, sagt, dass er «ein wenig von seinem Einfluss verlor», was darauf anspielt, dass Bibliander wegen Streitigkeiten mit seinem Kollegen Peter Martyr Vermigli über die Prädestination von seinem Posten als Professor in Zürich enthoben wurde. Eine solch negative Reflexion über eine Figur ist bei Pantaleon sehr selten.
4. Die Notiz über Pantaleon (Text 5)
An das Ende des dritten Bandes seiner Prosopographia stellt Pantaleon seine in der dritten Person verfasste Autobiographie. Der unechte bescheidene Tonfall seiner Notiz kann nicht verbergen, was für eine hohe Meinung er von seinem Lebenslauf hat, wenn man vom Eingeständnis einiger Fehler absieht (z. B. seiner mangelnden Eloquenz). Diese Autobiographie, die manchmal zu einem Panegyrikos tendiert, bietet nützliches Material, das aber nicht immer zuverlässig ist; die späteren Biographen haben es dennoch zum Grossteil übernommen. Von den Punkten, die der Autor hervorhebt, kann man seine guten Beziehungen zu den Gelehrten und besonders zu den politischen Eliten festhalten, besonders seine Beziehungen zum Kaiser. Maximilian II. sollte im Übrigen Pantaleon für dieses Werk 1566 mit dem Titel eines poeta laureatus belohnen.
Die Randanmerkungen dieser Ausgabe geben die Gliederung der vita an (wir fügen hier in eckigen Klammern noch einen Untertitel an, um den Anfang des Textes zu charakterisieren):
- [Kindheit und Schulbesuch]
- die Studien seiner Jugendzeit (studia adolescentiae)
- gymnasiale Übungen (exercitia in gymnasiis)
- seine ersten beruflichen Aufgaben (officia primo administrata)
- sein Doppelstudium der Theologie und der Medizin (theologiae et medicinae studium coniunctum)
- seine philosophische Unterrichtstätigkeit (philosophica professio assumpta)
- Pantaleons Werke (scripta Pantaleonis)- das vorliegende Werk über berühmte Männer (opus praesens de viris illustribus)
In der hier als erste präsentierten Passage, in der es um seine theologischen und medizinischen Studien geht, hebt Pantaleon seine grosse Arbeitskraft hervor, ferner die Vielseitigkeit seines Wissens und sein Talent zum Unterrichten. Der zweite Auszug, der vom Ende der autobiographischen Notiz stammt, informiert uns mehr über die Ausarbeitung des Werkes, das laut seinem Autor viel Aufmerksamkeit erregt hatte. Pantaleon achtet darauf, als ein seriöser Gelehrter aufzutreten, der sowohl von Humanisten als auch von Politikern geschätzt wird, und er erwähnt das weitgespannte Netzt seiner Briefkorrespondenten, die ihn mit wichtigen Informationen für sein Werk versorgt hatten. Die Pest, der er einen im Januar 1564 erschienenen Traktat widmete, zwang ihn, seine Forschungen zu unterbrechen. Er nahm hierauf die Arbeit an seinen Biographien wieder auf und veröffentlichte im folgenden Jahr die ersten zwei Bände. Da er davon ausging, dass die Deutschen nur die Helden ihrer eigenen Region kannten, verfasste er noch einen letzten Band, der sich erst kurz zurückliegenden Zeitabschnitten widmete. Um seine Kenntnisse zu vervollkommnen reiste er anschliessend durch die deutschsprachigen Gebiete. Er präsentiert sich als einen Philologen und Gelehrten mit zäher Arbeitskraft (ein Aspekt, der in diesem Selbstporträt mehrfach wiederkehrt) und behauptet gleichermassen, einen liebenswürdigen Charakter zu besitzen und von allen geschätzt zu werden; wie Buscher feststellt, fällt die Maske der Bescheidenheit derart immer mehr, je weiter die Notiz fortschreite. In der Schlussbemerkung Pantaleons kann man seine Anhänglichkeit an die deutsche Heimat hervorheben, das heisst: seine Anhänglichkeit an die ganze deutsche Sprachgemeinschaft, und nicht nur an Basel oder die Eidgenossenschaft. Die Quellen, die der Autor recht vage am Ende der Notiz zitiert, sind wahrscheinlich Zeugnisse von Freunden wie dem Elsässer Conrad Lycosthenes.
Bibliographie
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Zu Pantaleons Leben s. unsere Einführung zu seinem Philargirus.
Pantaleon erstellter auch eine deutsche Übersetzung, die er zwischen 1567 und 1570 veröffentlichte; er fügte in sie gegenüber der lateinischen Ausgabe Ergänzungen ein.
Vgl. dazu besonders H. U. Bächtold, «Bibliander, Theodor», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 15.10.2009, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010537/2009-10-15/.