Brief an Andreas Alciatus über Luther, den Wormser Reichstag und die Allianz der Schweizer mit Frankreich
Bonifacius Amerbach
Einführung: Anne Andenmatten, avec la collaboration de Kevin Bovier (deutsche Übersetzung: Clemens Schlip). Version: 26.06.2023.
Entstehungsdatum: 11. Juni [1521].
Autograph: Universitätsbibliothek Basel, C VIa 73:140 (Entwurf).
Ausgaben: Die Amerbachkorrespondenz, Bd. 2, Die Briefe aus den Jahren 1514-1524, hg. von A. Hartmann, Basel, Verlag der Universitätsbibliothek, 1943, Nr. 791, 306-310; Th. Burckhardt-Biedermann, Bonifacius Amerbach und die Reformation, Nr. 10, Basel, R. Reich, 1894, 146-151.
Bonifacius Amerbach wurde am 11. Oktober 1495 in Basel geboren, wo er am 24./25. April 1562 verstarb; er ist der jüngste Sohn des Druckerverlegers Johann Amerbach. Letzterer stammt aus Amorbach in Franken und lässt sich 1478 in Basel nieder, wo er nach seiner Hochzeit das Bürgerrecht erlangt. In Basel werden seine Kinder geboren, darunter Bonifacius, den sein Vater zwischen dem Sommer 1507 und dem Winter 1508/09 zum Studium nach Schlettstadt in die Lateinschule des Hieronymus Gebwiler schickt. Nach seiner Rückkehr nach Basel studiert er an der dortigen Universität, wo er am 1. Februar 1512 den Magistergrad erlangt. In der Offizin seines Vaters begegnet er Erasmus von Rotterdam, mit dem er fortan regelmässig korrespondiert. Unter der Anleitung von Ulrich Zasius studiert er Jura in Freiburg i. Br. 1520 begibt sich Amerbach nach Avignon, wo er die Kurse Andreas Alciatus belegt, der eine neue Strömung in der juristischen Wissenschaft vertritt (mos gallicus). Diese Begegnung markiert den Beginn einer langen Freundschaft. Im Oktober 1522 scheiden Alciatus und Amerbach voneinander; sie werden sich nie wiedersehen, auch wenn sie eine im Laufe der Zeit mehr oder weniger ausführliche Briefkorrespondenz beibehalten (110 Briefe zwischen 1519 und 1540). Ihre Freundschaft scheint sich allmählich abgeschwächt zu haben. Nachdem er 1525 den juristischen Doktorgrad erlangt hat, lehrt Amerbach bis 1530 an der Universität Basel die Institutiones. Seine Rechtsauffassung ist ein kluges Gleichgewicht zwischen dem mos italicus, der sich auf die Tradition der mittelalterlichen Glossatoren und Kommentatoren stützt, und dem mos gallicus, der auf die textkritischen Methoden der Humanisten gründet. Allerdings hat er kein einziges Buch zur Rechtswissenschaft veröffentlicht.
Gegenüber der Reformation nimmt Amerbach eine sehr gemässigte Position ein, die sehr der der Erasmus ähnelt: er verurteilt die vom Klerus begangenen Missbräuche, zieht aber seine Unterstützung für Luther zurück, als dessen Bewegung sich radikalisiert und für Unruhen sorgt, die Amerbach verabscheut. Obwohl er den Übertritt seiner Stadt zur Reformation (1529) ablehnt, bleibt er dort, anders als Erasmus oder Glarean, die nach Freiburg i. Br. ziehen. Diese Entscheidung ist auf seinen Familiensinn, seinen Besitz und seinen akademischen Status zurückzuführen und korrespondiert mit seinem friedliebenden Charakter; sie zieht ihm aber viel Ärger mit den Basler Behörden zu. Er wird vor eine Disziplinarkommission seiner Pfarrei gerufen, doch der Tod Ökolampads (des grossen Vorkämpfers der Basler Reformation) im November 1531 schützt ihn. 1534 einigt sich Amerbach mit dem Rat und den Pastoren und übergibt dem Rat sein persönliches Glaubensbekenntnis, das in der Mitte zwischen Luthertum und Zwinglianismus zu verorten ist. Trotz seiner Konversion behält Amerbach seine Anhänglichkeit an Erasmus, der ihn zu seinem Erben und Testamentsvollstrecker macht. Amerbach ist auch der geistige Erbe des Erasmus, indem er dazu beiträgt, aus Basel ein von Erasmus inspiriertes humanistisches Zentrum zu machen, in dem mehr als ein halbes Jahrhundert über eine relativ ausgeprägte religiöse und philosophische Toleranz herrscht.
1541 sterben mehrere seiner Verwandten an der Pest: zwei Töchter, seine Frau Martha Fuchs, seine Schwester und sein Schwager. 1546 zwingt ihn der Tod seines Schwiegervaters dazu, die Aufgaben des Familienoberhaupts zu übernehmen. Seine zahlreichen Aktivitäten (er ist auch juristischer Berater von Fürsten, besonders der Herzöge von Württemberg) und seine zunehmende Altersschwäche veranlassen ihn, seine Unterrichtstätigkeit aufzugeben (1548) und schliesslich seinen Lehrstuhl ganz aufzugeben (ca. 1552). Dennoch übt er als ständiger Dekan der juristischen Fakultät und Rektor der Universität (zum fünften Mal 1556/1557) weiterhin Einfluss auf das Geschick der Universität aus. Als Rat der Stadt Basel bringt er den Prozess gegen den häretischen Wiedertäufer David Joris auf den Weg. Am Ende seines Lebens hat Amerbach die grosse Genugtuung, die Heimkehr seines Sohnes Basilius nach Basel mitzuerleben, der sich dort niederlässt, heiratet und das Rektorenamt der Universität übernimmt. Seine letzten Tage werden verdunkelt durch den Tod seiner Schwiegertochter Esther und seines Enkels Bonifaciolus; diese Unglücksfälle beschleunigen vielleicht seinen eigenen Tag am 24. April 1562.
Der hier präsentierte Brief von Bonifacius Amerbach an Andreas Alciatus datiert vom 11. Juli 1521. Zu diesem Zeitpunkt hat Alciatus aufgrund der dort tobenden Pest verlassen und befindet sich in Mailand. Amerbach befindet sich für die Sommerferien in Basel. Dieser Brief bezeugt die intensive intellektuelle Neugierde des jungen Mannes und die aufrichtige Freundschaft, die er für seinen Professor empfindet. Er stellt auch seine gemässigte Haltung angesichts der Reformation unter Beweis: er stellt sich eher als ein aufmerksamer, aber relativ besorgter Beobachter der Unruhen dar, die diese Bewegung ausgelöst hat. In diesem Sinne bekundet der detaillierte, aber objektive Bericht, den er Alciatus über die Geschehnisse in Basel und Deutschland abstattet, seine Opposition gegen die Radikalität des in seiner Heimatstadt Basel wirkenden Reformators Ökolampad.
Alciatus reagiert wie Amerbach zunächst positiv auf Luthers Ideen. Luthers Thesen und Vorstellungen scheinen in Italien ab 1519 weitere Verbreitung gefunden zu haben; zu verdanken war das der lateinischen Ausgabe seiner Schriften, die Johannes Froben 1518 in Basel veranstaltete. Selbst wenn Alciatus auch später von der Notwendigkeit einer Kirchenreform überzeugt bleibt, zügelt er seit Anfang 1521 aufgrund der über Luther verhängten Exkommunikation seinen Enthusiasmus und distanziert sich vom Reformator, indem er etwa bekräftigt, dass er sich in die Luthersache nicht einmischen will. Sein Brieftraktat Contra vitam monasticam wird ab diesem Zeitpunkt zu einer peinlichen Belastung für ihn. Dieser Brief würde in Wirklichkeit eher den Titel eines Pamphlets verdienen, so schwer sind die darin gegen die Mönche mit ihrem unfruchtbaren kontemplativen Leben, ihrem Egoismus, ihrer Habgier und ihrer Heuchelei erhobenen Vorwürfe. Diese zu Beginn seiner Lehrtätigkeit (Anfang 1518) in Avignon verfasste Schrift wurde zu seinen Lebzeiten niemals veröffentlicht. Das Manuskript gelangte durch die Vermittlung des italienischen Verlegers Francesco Calvo in die Hände von dessen Freund Erasmus; es wird für Alciatus zu einer kompromittierenden Angelegenheit und zu einer Gefahr für seine Karriere, nachdem ihn Papst Leo X. am 17. Februar 1521 zum päpstlichen Hofpfalzgrafen ernannt hat. Er bemüht sich also verzweifelt, sein Manuskript zurückzubekommen und bittet Erasmus durch Amerbach, es dem Feuer zu übergeben oder wenigstens nicht zu veröffentlichen. Als er diesen Brief seines Schülers vom 11. Juni 1521 aus Basel erhält, hat Alciatus mit seiner weltanschaulichen Wende bereits begonnen.
Auf das Lob seines Lehrers am Anfang des Briefes lässt Amerbach einen Bericht über den Reichstag von Worms folgen, der gerade zu Ende geht. Er erwähnt nicht ohne Ironie die Rolle des Nuntius Hieronymus Aleander und des Beichtvaters Karls V., eines Franziskanermönchs und Theologen namens Jean Glapion. Amerbach weist auf die Unfähigkeit Aleanders und des Wormser Reichstages hin, die Lutherfrage zu lösen, auf ihre Machtlosigkeit angesichts von dessen Entschlossenheit und seiner schlichten Orientierung an der Heiligen Schrift.
Sodann gibt sodann einen Amerbach in Luthers Argumentation, ausgehend von einem Syllogismus: humanum esse errare, nihil humani a se alienum, facillimum errare posse («Irren ist menschlich, nichts Menschliches ist ihm fremd, deshalb kann er sehr leicht irren»). Diese Aussage geht auf einen berühmten Vers des Terenz zurück: «Ich bin ein Mensch; ich denke, dass mir nichts Menschliches fremd ist». Die Worte, die Amerbach Luther in den Mund legt, entsprechen weitgehend dem, was dieser während der Reichstagssitzungen tatsächlich gesagt hat. Ungeachtet aller Todesdrohungen ist Luther unbeugsam geblieben, was ein öffentliches Predigt- und Publikationsverbot nach sich gezogen hat, sowie das Verbot, sich an die Bevölkerung zu wenden. Amerbach resümiert hier den Inhalt des Wormser Edikts, das offiziell am 26. Mai 1521 veröffentlicht wurde. Schliesslich wird Luther nachhause geschickt. Amerbach berichtet von den Gerüchten über seine Gefangennahme, denen aber keinen Glauben schenkt. Martin Bucer, der am Wormser Reichstag teilgenommen hatte, hat vermutlich Beatus Rhenanus von diesen Ereignissen berichtet, der seinerseits Amerbach informiert hat. Es handelt sich also, alles zusammengenommen, um eine zuverlässige Darstellung der Ereignisse, fast um einen Augenzeugenbericht.
Amerbach zählt im Folgenden die von den «bis auf die Zähne bewaffneten» Theologen kürzlich verurteilten Schriften Luthers auf: besonders denen in Löwen, Köln und Paris, die Amerbach lächerlich macht, indem er sich eines aus dem Mittelalter stammenden Kirchenvokabulars bedient (hereticus, offensivus, scandalosus). Mit ihren inhaltslosen Sachargumenten wird Luther leicht und konzise fertig (Quibus omnibus respondet).
Amerbach anerkennt die Qualitäten und Ideen Luthers, macht ihm aber seine Widersprüche (paradoxa) und seine Intransigenz (dura) zum Vorwurf. Er missbilligt die Gewalt und die Unruhen, die er hervorruft. Wenn er es wagt, derart seine Zweifel zu äussern, dann tut er das, weil er weiss, dass Alciatus seine Ansichten teilt. Amerbach regt sich auf über die Blindheit der Theologen, die nicht verstehen, dass man, um sich mit Luther auseinanderzusetzen, auf einen gedanklichen Boden mit ihm stellen und sich der gleichen Waffen wie er bedienen muss; er bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Methode der Kirchenväter Augustinus und Hieronymus, die er dem Autoritätsargument des heidnischen Philosophen Pythagoras gegenübergestellt. Amerbach zitiert es im griechischen Original (αὐτὸς ἔφα). Dem Adagium des Erasmus, in dem diese Formel enthalten ist, entnimmt er auch den Begriff der autoritas und vor allem eine sehr exakt zitierte Phrase: vel citra rationem ad quidvis credendum sufficiat («dass [die Autorität] dazu hinreicht, etwas zu glauben, was über den Verstand hinausgeht»). Er erlaubt sich hier eine Spitze gegen die Theologen, die sich – welche Ironie – wie wahre Heiden betragen, indem sie ihre Thesen alleine mit dem Argument ihrer Autorität zur Geltung bringen wollen, selbst wenn diese den Lehren der Evangelien widersprechen! Nach dieser langen Tirade gewinnt er wieder mehr Zurückhaltung: was zählt, sind nur die Wahrheit und ihre Verteidigung. Er fällt ein (freilich wenig originelles) Urteil über die Übel, unter denen seine Zeitgenossen leiden: Ehrgeiz und Geldgier – nichts Neues unter der Sonne.
Nach den Verurteilungen Luthers und seiner Lehre erwähnt Amerbach Schriften, in denen er verteidigt wird. Ulrich von Hutten führt mit seiner Feder einen erbitterten Kampf zur Verteidigung Luthers, für das wahre Christentum und für die Freiheit Deutschlands, und gegen den Papst. Luther selbst liess nach der Veröffentlichung der Bulle Exsurge Domine von Papst Leo X. in Strassburg im November 1520 zwei lateinische Ausgaben der Bulle erscheinen, die er mit (teils ironischen, teils pathetischen) Glossen versah. Amerbach denkt hier zweifelsfrei an dieses kleine Werk.
Amerbach, der die Interessen seines Korrespondenzpartners kennt, vermutet, dass dieser etwas über die bei den Basler Druckern herausgekommenen Neuerscheinungen wissen möchte. Besonders Werke von Erasmus sind eine sichere Bank. In einem kurz zuvor an seinen ehemaligen Professor Ulrich Zasius gerichteten Brief liefert Amerbach diesem übrigens dieselben Informationen über die jüngst veröffentlichten oder noch in Arbeit befindlichen Werke des Erasmus. Anschliessend beklagt Amerbach die ungerechten Angriffe, denen sein Freund Erasmus ausgesetzt ist. Schon 1519 war die Verurteilung der Schriften Luthers durch die Theologische Fakultät von Löwen zeitlich mit einer Wiederbelebung der gegen Erasmus gerichteten Verdächtigungen zusammengefallen, letzteres ausgelöst durch die Publikation von dessen revidiertem Neuen Testament: die Theologen von Löwen halten ihn für einen Mitarbeiter Luthers und greifen ihn scharf an. Amerbach berichtet, dass Hieronymus Aleander es gewagt hat, vor Kaiser Karl V. Anklagen gegen Erasmus vorzubringen. Es scheint, dass die Veröffentlichung eines Briefes von Erasmus an Luther Aleanders Verdacht geweckt hatte. Amerbach verteidigt klarerweise Erasmus und wendet sich dagegen, diesen mit Luther gleichzusetzen. Im Rahmen seiner Ankündigung literarischer Neuerscheinungen lobt Amerbach aufs Neue seinen Lehrer Alciatus mit seinem durchdringenden und treffsicheren Urteil; er spielt dabei auf das erasmische Adagium Lydius lapis an.
Im Folgenden kommt Amerbach auf aktuelle politische Ereignisse zu sprechen, besonders auf die vor kurzem erfolgte Unterzeichnung eines Allianzvertrags zwischen den Eidgenossen und dem König von Frankreich: die Eidgenossen und ihre Zugewandten Orte müssen dem König zwischen 6’000 und 16’000 Söldner liefern; der König wiederum verspricht den Schweizern Hilfe im Falle eines Angriffs, besonders in Form von Waffenlieferungen und Geld. Die für jeden Ort vorgesehen Pensionszahlung wird noch erhöht gegenüber den Beträgen, die im Ewigen Frieden von 1516 vorgesehen waren. Amerbach scheint sich über diese Allianz mehr zu beunruhigen als sich darüber zu freuen. Seine misstrauische Haltung entspricht der des Reformators Ulrich Zwingli, der ein heftiger Gegner der von auswärtigen Fürsten gezahlten Pensionen war, weil sie seiner Ansicht nach Korruption, Käuflichkeit, den Verlust der Freiheit und die Zerstörung des Landes nach sich zogen. Auch Amerbach ist aufgebracht über die Habgier seiner Landsleute und ihre Naivität angesichts der Versprechungen des französischen Königs; er schliesst mit einem Zitat aus der Ars amatoria des Ovid: Sed quid promittere laedit? Diese rein rhetorische Frage wird nicht beantwortet, die implizierte Antwort ist aber: Versprechungen verpflichten zu nichts. Und man denkt zwangsläufig an den folgenden Vers bei Ovid: «Mit Versprechungen kann jeder reich sein». Und selbst wenn das Gold tatsächlich gezahlt werden sollte, enthüllt die Erwähnung des erasmischen Adagiums Aurum habet Tolosanum Amerbachs Befürchtungen. Dieses Adagium bezieht sich auf ein Ereignis in der römischen Geschichte, nämlich die Plünderung der Stadt Toulouse durch den Prokonsul Q. Servilius Caepio im Jahr 105 v. Chr., wo er grosse Beute machte, Gold, das ihm auf dem Heimweg nach Rom nach einem Massaker an seiner Eskorte wieder geraubt wurde. Ein zweites (auf Griechisch zitiertes) Adagium verurteilt die Habgier der Schweizer durch ihre metaphorische Gleichsetzung mit den Spartiaten, die wie sie selbst gefürchtete Krieger, zugleich aber furchtbar geldgierig waren. Dieses Bild von den Schweizern als Söldnern war sprichwörtlich: in seinem Adagium In Care periculum erwähnt Erasmus die Karer «ein Volk, das die Waffen und den Krieg so sehr liebte, dass es sich angewöhnte, sogar als Söldner für andere Krieg zu führen»; und er fügt hinzu: «in unserer Epoche scheinen die Schweizer mit dem Ruf der Karer zu rivalisieren». Erasmus ist gegenüber den Schweizern allerdings weniger kritisch eingestellt als Amerbach; er hält sie für ein Volk, das «für den Krieg geboren ist, ein Menschenschlag, der im Übrigen einfach und ohne Böswilligkeit ist; sie würden es verdienen, von dieser Bezeichnung befreit zu werden und würden auch in den Wissenschaften und in allen ehrbaren Studien Grosses leisten, wenn sie nur das Kriegführen sein liessen und sich geistig mit diesen Dingen beschäftigten.»
Der Brief endet mit einem bewegenden Freundschaftsbeweis. Amerbach gibt zu verstehen, dass Alciatus für ihn das ist, was Maecenas für Horaz war, indem er auf eine Passage aus den Oden des lateinischen Dichters anspielt:
Ich habe keinen treulosen Meineid geschworen. Je: ich werde gehen, ich werde gehen, jedesmal wenn Du mir vorangehst, ich bin bereit, Dich auf Deiner letzten Reise zu begleiten.
Einige Verse vor dieser Passage äussert Horaz die Idee, dass er, wenn sein Freund Maecenas vor ihm sterben sollte, der Hälfte seiner Seele beraubt werden würde. Das Gleiche schreibt Amerbach in einem anderen Brief an Alciatus. Der Vergleich mit dem antiken Text und seinem Kontext macht klar, wie tief die Freundschaft ist, die Amerbach für Alciatus empfindet. Allerdings scheint der Mailänder diese Gefühle nicht geteilt und ihn für seine Freundschaft auch nicht belohnt zu haben.
Nach der Orts- und Datumsangabe bittet Amerbach Alciatus, ihn dem «hochgelehrten Aurelio Albuzio». Es scheint sich dabei um einen Freund des Andreas Alciatus zu handeln, vielleicht einen alten Studienfreund, dessen Namen er sich bei verschiedenen Gelegenheiten als eines Pseudonyms bedient hat. Amerbach wendet sich hier also mit einem Augenzwinkern an seinen Korrespondenzpartner selbst.
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