Paraphrasen zum Hymnus Omnie die dic Mariae
Übersetzung (Deutsch)
1
Der 1599 in Appenzell geborene Eichmüller studierte in Mailand, wo er zum Doktor der Theologie promoviert wurde. Nach der Priesterweihe 1623 und seiner Kaplanzeit wurde er Stiftsprediger in Solothurn (1625-1653), daneben Chorherr (1630), Kapitelsekretär (1636) und Propst (1649) sowie Sekretär der solothurnischen Gebiete im Bistum Lausanne (1649). Nach seinem Tod im Jahr 1654 wurde aus seinem Erbe in Appenzell eine Lateinschule eingerichtet. S. zu ihm U. Fink, «Eichmüller, Johannes», Historisches Lexikon der Schweiz, Onlineversion vom 06.06.2002, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/025921/2002-06-06/. Alleine schon die Tatsache, dass Barzaeus ihm eine komplexe Dichtung wie das Omni die dic widmete, beweist, dass er über eine beträchtliche literarische Kultur und Bildung verfügt haben muss.
2
Die kämpfende Kirche (ecclesia militans) ist die Kirche auf Erden, die triumphierende Kirche (ecclesia triumphans) sind die Erlösten im Himmel.
3
Das heisst: erweitert im Vergleich zur Erstauflage 1648.
4
Kasimir von Polen-Litauen; s. unsere Einleitung.
5
Im Lateinischen spricht Barzaeus wörtlich übersetzt davon, dass er diese Lobreden in den «engeren Kothurnen [Schuhen der antiken Tragöden] des metrischen Gesetzes vorführt».
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Johannes Chrysostomos (344/49-407) aus Antiochia brachte es vom Presbyter in seiner Heimatstadt bis zum Patriarchen von Konstantinopel und gilt als einer der vier grossen griechischen Kirchenväter. Er war besonders für seine Predigtberedsamkeit berühmt (der ihm verliehene Beiname Chrysostomos bedeutet «Goldmund»). S. zu ihm allgemein etwa K. H. Uthemann, «Johannes Chrysostomos», Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 3, (1992), 305-326.
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Äderchen, die mit ihren Lippenspitzen etwas berühren, sind, beiläufig bemerkt, ein furchtbar schiefes Bild.
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Die Skylla ist ein zuerst aus Homer (Odyssee 12,101 ff.; 12,235 ff.) bekanntes, grässlich anzuschauendes mythologisches Ungeheuer das gemeinsam mit dem gestaltlosen Meerungeheuer Charybdis die Seefahrt in einer Meerenge. Man kam in der Antike (in Abweichung von Homer) dazu, diese Meerenge mit der Strasse von Messina zwischen Italien und Sizilien zu identifizieren. In der bildenden Kunst wird Skylla gerne mit dem Oberkörper einer jungen Frau und einem aus wilden Hunden bestehenden Unterleib dargestellt (was sich aus Homer so direkt nicht ergibt). Hier wird ihr Name metaphorisch gebraucht für «Gefahr». Der «kirkäische Strudel», von dem Barzaeus spricht, macht keinen rechten Sinn. Eine Beziehung zwischen der Zauberin Kirke, bei der Odysseus einige Zeit verbracht hat, und der Skylla besteht nur insofern, als Kirke den Odysseus bei Homer vor Skylla und Charybdis warnt und ihm erklärt, wie er der Gefahr entgehen kann (Odyssee 12,80-126). Vielleicht verwechselte Barzaeus hier etwas, und ihm schwebte eine gedankliche Verbindung zur Charybdis vor, die dreimal täglich das Meerwasser einsaugen und dann mit lautem Gebrüll wieder ausstossen soll, was sich in gewisser Weise als Strudel interpretieren lässt.
9
Acroceraunia nannte man die Nordspitze der Steilküste der Ceraunii montes in Epirus, die felsig und daher für die Schifffahrt gefährlich war.
10
Also des Widmungsträgers Eichmüller.
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Das Druckbild legt nahe, dass es sich hier um ein Zitat handelt, analog zu den nachfolgenden Zitaten. Es ist uns aber bisher nicht gelungen, eine Quelle dafür ausfindig zu machen.
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Statius, Silvae 1,4,130-131.
13
Das heisst der zuvor zitierte Dichter Publius Papinius Statius. Zu diesem s. allgemein M. v. Albrecht, Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius und ihr Fortwirken, Bd. 2, 32012, Berlin/Boston, De Gruyter, 795-809.
14
Die Behauptung, das vorliegende Werk in den Nachstunden (also neben den regelmässigen Tagespflichten) verfasst zu haben, ist ein weitverbreiteter literarischer Topos, dem es dennoch im Einzelfall nicht per se an Wahrhaftigkeit mangeln muss.
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Berg in Phokis, Aufenthaltsort des Apolls und der Musen.
16
Beiname der bzw. Synonym für Musen.
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Die Vorstellung von neun Chören der Engel geht ursprünglich auf die Schrift De coelesti hierarchia des Pseudo-Dionysios Aeropagita (5./6. Jh.) zurück und fand seitdem in der Christenheit weite Verbreitung, in Details auch Modifikationen. S. dazu etwa A. Rosenberg, Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines Urbildes, München, Kösel, 21986, 134-141.
18
Diese Bemerkung würde man gerne als Hinweis darauf deuten, die Neunzahl der Musen würde der folgenden Textsammlung als Strukturprinzip zugrunden liegen. Allerdings konnten wir dafür keine weiteren Anzeichen finden.
19
Rhadamanthys ist gemäss der griechisch-römischen Mythologie einer der Unterweltsrichter. S. zu ihm etwa K. Schlapbach, «Rhadamanthys», Der Neue Pauly 10 (2001), 943-944.
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Ein Apoll und den Musen heiliger Berg in Böotien.
21
Quelle auf dem Helikon.
22
Schönenwerd liegt am Jurasüdfuss an der Aare.
23
Gemeint ist die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Oberdorf in Nidwalden, die Barzaeus neben anderen marianischen Wallfahrtsstätten der Schweiz in dem auf die Vorrede folgenden Anagramma-Gedicht erwähnt (s. dazu unsere Einführung). Inwiefern sich Eichmüller um diese Kirche verdient gemacht hat, konnten wir nicht feststellen, allerdings erscheint uns ein Zusammenhang mit Baumassnahmen in Oberdorf in der ersten Hälfte des 17. Jh. möglich; zu diesen s. S. Blank, «Die Baugeschichte der Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt und des Kirchenbezirks in Oberdorf», Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 88 (2015), 141-172, hier 151-153. Nachweisbar ist ein Eintrag für Eichmüller im Jahrzeitbuch der Pfarrei Oberdorf; s. G. Jäggi, «Für das Seelenheil. Stiftungen für den Wallfahrtsort», Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 88 (2015), 73-140, hier 78 und 113.
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Also das vorliegende Buch, den libellus.
25
Vgl. Hor. a. p. 332: carmina linenda cedro (Dichtungen, die es wert sind, mit Zedernöl bestrichen zu werden); ähnlich Persius 1,42: cedro digna locutus (Gesprochenes, das es wert ist, mit Zedernöl bestrichen zu werden).
26
Dieses Fest (üblicher deutscher Name: Mariä Opferung) bezieht sich auf die nicht-biblische Überlieferung, Maria sei von ihren Eltern als Kleinkind in den Tempel von Jerusalem gebracht worden, wo sie bis zu ihrer Verlobung mit Joseph geblieben sei. Diese Vorstellung basiert auf dem apokryphen Protoevangelium des Jakobus (Kapitel 7); zu Aufbau und Inhalt dieses Textes s. etwa U. U. Kaiser, «Protoevangelium des Jakobus», Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, Version vom Oktober 2020, online, https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200185/.
27
Gemeint ist die Geburt Christi aus der Jungfrau Maria.
28
Leoninische Hexameter (gelegentlich auch Pentameter) zeichnen sich dadurch aus, dass Zäsur (Penthemimeres; «Versmitte») und Kadenz («Versende») sich reimen. Nach ersten Beispielen bei Ovid, in der Spätantike und im frühen Mittelalter blühte diese Versart besonders im Mittelalter (10./11. Jh.). Wie dieser Vers und die nachfolgenden zeigen, hält es Barzaeus für möglich, dass manche Leser ästhetische Einwände gegen lateinische Reimdichtung haben. Solche ist in der Tat in Humanistenkreisen gelegentlich belegt. S. dazu etwa F. Rädle,»Über mittelalterliche lyrische Formen im neulateinischen Drama», in: M. Borgolte/H. Spilling (Hgg.), Litterae Medii Aevi, Sigmaringen, Jan Thorbecke, 1988, 339-362, hier 340-341.
29
Rhadamanthys, ein mythischer König von Kreta, wurde nach seinem Tod zu einem der Unterweltsrichter (vgl. Anm. 19).
30
Lykambes soll dem griechischen Dichter Archilochos (ca. 680-645) seine Tochter Neobule zur Frau versprochen haben. Als er dieses Versprechen brach, soll Archilochos Vater und Tochter mit hasserfüllten Versen (Jamben) verfolgt und sie sowie die Schwestern der Neobule in den Suizid getrieben haben. S. dazu etwa E. Bowie/T. Heinze, «Archilochos», Der Neue Pauly 1 (1996), 994-997, hier: 996. Barzaeus verbittet sich in diesem Sinne hier eine heftige, an Archilochos gemahnende Kritik.
31
D. h. das Buch zu verurteilen. S Erasm. Adag. «Creta notare. Carbone notare» (ASD II. 1, Nr. 454, 527-528).
32
Also vom Trojanischen Krieg (die Danaer sind die Griechen, die Phryger sind die Trojaner).
33
Briareos ist einer der drei Hekatoncheiren (Hundertarmigen), Söhne des Uranos und der Gaia. Er und seine Brüder unterstützten die olympischen Götter beim Kampf gegen die Titanen. S. etwa R. Netz, «Hekatoncheires», Der Neue Pauly 5 (1998), 271.
34
Polyphem ist der Kyklop, der in der Odyssee mit Odysseus aneinandergerät, einige von dessen Gefährten frisst und am Ende durch die Hand des Griechen sein Augenlicht verliert (s. diese Geschichte in Odyssee 9, 105ff.).
35
Gemeint ist wohl der kynische Philosoph Diogenes von Sinope (ca. 413-323 v. Chr.), der für einen unkonventionellen und selbstbestimmten Lebensstil stand. S. zu ihm allgemein etwa M.-O. Goulet-Cazé, «Diogenes von Sinope», Der Neue Pauly 3 (1997), 598-600. Als literarischer Kritiker ist er eigentlich nicht bekannt, Barzaeus nennt ihn hier wohl, weil er allgemein für seine scharfe Zunge und sein unbestechliches Urteil berühmt war.
36
Gyaros ist eine unwirtliche Ägäisinsel der nördlichen Kykladen, die in der römischen Kaiserzeit als Verbannungsort genutzt wurde. S. etwa H. Kalcyk, «Gyaros», Der Neue Pauly 5 (1998), 15.
37
Lippen.
38
Der Kothurn war der Schaftstiefel, mit hoher Sohle, mit dem die griechischen Tragödienspieler auftraten. S. etwa R. Hurschmann, «Kothurn», Der Neue Pauly 6 (1999), 781-782. Hier wird das Wort metaphorisch gebraucht, um das hohe Niveau des vorliegenden Gedichts des Barzaeus deutlich zu machen.
39
Aonisch = böotisch; da Böotien mit dem Helikon als Heimat der Musen galt, ist das eine Anspielung auf sie.
40
Das Empyreum ist der höchste Himmel, in dem Gott und die Heiligen wohnen: s. dazu etwa H. Meinhardt, «Empyreum», Lexikon des Mittelalters 3 (1986), 1898.
41
Gemäss der katholischen Lehre blieb Maria vor, während und nach der Geburt Jesu eine Jungfrau.
42
Im Lateinischen handelt es sich bei diesem und den folgenden Versen um Elfsilbler (Hendekasyllaben).
43
Der Chor der Musen.
44
Maria wird in der Kunst oft mit einem Sternenkranz aus zwölf Sternen dargestellt wegen der in der katholischen Tradition auf Maria bezogenen Vision des Johannes in Apokalypse 12,1 (Einheitsübersetzung 2016, unsere Hervorhebung): «Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt». Ob die zwölf Sterne auf blauem Grund der modernen Europaflagge davon beeinflusst wurden, wie immer wieder vermutet wurde, steht nicht zweifelsfrei fest. Die These wurde unlängst wieder vom Politikwissenschaftler und ehemaligen Präsidenten des Zentralkommitees der deutschen Katholiken, Hans Maier, in einem Leserbrief vertreten (H. Maier, «Am deutlichsten in der Europaflagge», Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.05.2024, 18).
45
D. h. der Sonne (Hyperion ist in diesem Fall ein Beiname des Helios).
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Die auf der Insel Lesbos lebende und tätige Dichterin Sappho (ca. 630-570 v. Chr.) gehört zu den berühmtesten und einflussreichsten Autoren der griechischen Lyrik. Allerdings ist nur ein kleiner Teil ihres Schaffens erhalten. Die Tatsache, dass man ihr über ihr Leben nur eingeschränkte Kenntnisse hat, führte schon in der Antike zur Legendenbildung um ihre Person. S. zu ihr allgemein H. Mommsen, «Sappho», Der Neue Pauly 11 (2001), 46-50.
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Gemeint ist damit wohl das Versmass des angeblich von Sappho erfundenen sapphischen Strophe, deren sich im lateinischen Text an dieser Stelle und in den folgenden vier Strophen auch Barzaeus bedient.
48
Die Mächte gehören ebenso wie Seraphim zu den neun Chören der Engel der christlichen Imagination (besonders einflussreich war in dieser Hinsicht der spätantike Pseudo-Dionysios Aeropagita im 5./6. Jh.). S. dazu Anm. 17.
49
Der Morgenstern.
50
Der Mond (Kynthia bzw. auf Latein Cynthia ist ein Beiname der auf dem Berge Kynthos auf der Insel Delos geborenen Artemis, die unter anderem auch als Mondgöttin verehrt wurde.
51
Auch Hinkjambus bzw. Choljambus genannt.
52
Theon war zur Zeit des Horaz ein in Rom lebender Freigelassener, der für seine Schmähkritik berüchtigt war (vgl. Hor. epist. 1,18,82); gegen derartige Kritikaster verwahrt sich hier Barzaeus.
53
Der verschlagene Sisyphus (Griechisch: Sisyphos), eine Gestalt der griechischen Mythologie, die sogar den Tod mehrfach zu betrügen wusste, muss in der Unterwelt zur Strafe in alle Ewigkeit einen Stein eine Anhöhe hinaufwälzen, der bei jeder Erreichung des Ziels sofort wieder herunterrollt. Die Arbeit des Sisyphus ist also vergebliche Liebesmüh, wie auch die Kritiker der Jungfrau Maria keinen Erfolg haben.
54
Angesprochen sind die Musen, als deren Wohnsitz das Helikon-Gebirge in der griechischen Landschaft Böotien galt.
55
Barzaeus bezieht sich hier auf die Vision des Johannes in der Apokalypse, 12,1, die in der katholischen Tradition auf Maria bezogen wird (Einheitsübersetzung 2016, unsere Hervorhebung): «Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt».
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Hier ist nicht an das gleichnamige römische Amt gedacht, sondern das Wort censor wird von Barzaeus in übertragener Weise für überstrenge Kritiker gebraucht.