Wunderbuch

Traduction (Allemand)

Widmungsbrief

Fol. a2ro

Conrad Lycosthenes aus Rufach wünscht den erhabenen, hervorragenden und tüchtigen Männern, den Herren Bernhard Meyer, Theodor Brand, Bürgermeistern der erhabenen und hochherrlichen Republik von Basel, sowie den Oberstzunftmeistern Caspar Krug und Franz Oberried und dem ganzen hocherhabenen Ratsherrenstand, seinen äusserst verehrungswürdigen Herren und Vätern, Heil und Frieden im Herrn.

In der Heiligen Schrift findet man an vielen Stellen hervorstechende Zeugnisse sowohl für göttliches Wohlwollen als auch für göttlichen Zorn gegenüber dem Menschengeschlecht, hochherrliche Väter, durch die der höchste Architekt des Alls, der lenkende und bewahrende Gott, sein Volk zu sich ruft und denen, die sein Gesetz lieben, Belohnungen in Aussicht stellt und seinen Segen verspricht, den Gottlosen und Verächtern aber mit seinem Zorn, seiner Rache und seinem Fluch droht. Daher sagte er nach der Übergabe der Tafeln mit dem göttlichen Gesetz: «Ich bin Dein Herr und Gott, ein sehr eifersüchtiger Gott; ich suche die Sünden der Vater heim bei ihren Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation bei denen die mich hassen, doch ich erweise tausendfach meine Huld denen, die mich lieben und meine Gebote halten.» Was kann man also den Frommen Tröstlicheres sagen angesichts der Unglücksfälle in dieser sich schon zum Untergang neigenden Welt, und was stärkt die Kleingläubigen mehr im Glauben, als wenn sie wissen, dass Gott, der höchste Vater, sich um sie kümmert, und dass sein Wohlwollen und seine grosse Freigiebigkeit sie bergen und beschützen? Was kann man umgekehrt den Gottlosen Furchtbareres sagen, als wenn sie hören, dass jene höchste Majestät sie hasst, deren Zorn und Rache sie nicht entkommen können.

 

Fol. a3vo-a4ro

Eurer Klugheit zum Nutzen aber habe ich beschlossen, hochherrliche Herren, jene göttlichen Zornesdrohungen gegen die Schlechtigkeit der Sünder und die wahrheitsgemässen Vorzeichen des jüngsten Tages aufzuschreiben, teils, damit ich auf irgendeine Weise Rechenschaft über meine Freizeitbeschäftigung und meine privaten Studien (denen ich mich manchmal in Ruhestunden nach Verrichtung meiner kirchlichen Amtsgeschäfte widmete, zu der Zeit, da ich in Eurer in voller Blüte stehenden Akademie lehrte und in Eurer aufs Vortrefflichste geordneten Kirche das Gotteswort verkündete) und auch Rechenschaft über meine Diensterfüllung ablege; teils, weil ich überzeugt bin, dass diese meine Nachtarbeiten (die Ihr, wenn Ihr von Euren öffentlichen Verpflichtungen frei seid, bisweilen werdet durchblättern können) Euch aufgrund ihres mannigfaltigen Inhalts und der Seltenheit ihres Themas nicht unwillkommen sein werden. Mag man in ihnen auch viele Dinge finden, die über den menschlichen Verstand und die menschliche Glaubensbereitschaft hinausgehen, wie Berichte, dass Rindviecher, Schlangen und Hunde gesprochen haben; dass manchmal Bäume und Berge von einem Ort an einen anderen versetzt worden sind; dass man Weintrauben auf Holundersträuchern gefunden hat; dass man an Bäumen Feldfrüchte gesehen hat; dass Frauen sich in Männer verwandelt haben; dass das Meer gebrannt hat und dass in ihm manchmal neue und nie zuvor gesichtete Inseln entdeckt hat und noch mehr dergleichen, was viele, die keine Sachkenntnis besitzen, kaum glauben werden. Gott aber wird mein Zeuge sein, der bewundernswürdig ist in seinen Werken, und auch mein Gewissen, das rein ist vor ihm, und auf das gestützt ich bekräftigen kann, dass ich nichts erfunden habe (da ja nach Cicero das erste und wichtigste Gesetz der Geschichtsschreibung die Wahrheit ist), und dass ich, obwohl ich nun einmal nicht schon seit der Zeit unseres Urvaters Adam gelebt habe, in der ich meine historische Übersicht beginne, alle meine Informationen mit höchster Zuverlässigkeit nur aus bewährten und vertrauenswürdigen Autoren, die vor mir (aber nur hier und da) über solche Gegenstände geschrieben haben, geschöpft habe (ich habe einen Katalog mit ihren Namen angefügt). Diesen Informationen habe ich Dinge hinzugefügt, die ich entweder selbst in unserer Zeit mit eigenen Augen gesehen habe oder die von Freunden, denen ich zweifellos vertrauen kann, in Erfahrung bringen konnte. Darüber hinaus wird man zweifellos noch viele Dinge finden können, die mir entgangen und vielen unbekannt sind. Ich bin vollkommen überzeugt, dass Eure Klugheit sich aktuell mit dem vorliegenden Werk zufriedengeben wird, bis das Werk irgendwann einmal mit Hilfe der göttlichen Gnade stilistisch verbessert und noch inhaltsreicher erscheinen kann (die Arbeit daran hat bereits begonnen). Bis dahin werde ich ohne Unterlass den ewigen Vater unseres Herrn Jesu Christi, unseres einzigen Erlösers und Fürsprecher, bitten, dass er mit seinem Heiligen Geist Eure Gedanken lenken und Eure herrliche Republik und Eure hochheilige Kirche gegen alle Nachstellungen des Satans und der Welt verteidigen möge, und Euch mit seinem Segen fördere und in wahrem Frieden und zum Ruhme seines Namens bewahre. Lebt wohl. Ich schreibe Euch aus Eurer in voller Blüte stehenden Bürgerschaft, einem wahren Musensitz. Im Jahre des Herrn 1557, am 1. September, dem Tag, an dem bei uns einst unter Papst Eugen IV. und Kaiser Sigismund das Konzil begonnen hat.

Ende.

 

p. 605-606 (1549)

Im Gebiet von Zürich, im Amte Kyburg, in der Pfarrei Weisslingen, im Dorf Theilingen, wurde am 26. Mai, dem Sonntag vor Christi Himmelfahrt, etwa zur zwölften Nachtstunde ein Knabe geboren; seine Eltern waren die Eheleute Hans Walter und Bärbel Saxerin. Dieser Knabe wurde vom Ortspfarrer Heinrich Messikommer getauft und Heinrich genannt. Alle staunten, als er ein Baby und ein kleiner Knabe war, über sein Wachstum. Denn mit nur sechs Jahren ist sein hoher Wuchs der eines Vierzehnjährigen, an Beleibtheit und Korpulenz übertrifft er sogar einen Vierzehnjährigen. Seine Stimme ist volltönend und kräftig. Seine Geschlechtsteile sind nicht kleiner als sie bei einem ungefähr Zwanzigjährigen zu sein pflegen, und er hat auch struppiges Schamhaar. Und er hörte nicht auf zu wachsen. Mit fünf Jahren trug er schon schwere Lasten, wie etwa einen mittelgrossen Getreidesack (die Unseren sprechen von einem Scheffel, es handelt sich aber um die vierfache Menge des altrömischen Scheffels). Beim Dreschen der Feldfrüchte in den Tennen, wo die Unseren sie mit grossen Stangen traktieren, und beim Lenken des Pfluges leistete er durchaus so viel wie ein Erwachsener. Sein Geist ist aber noch kindlich. Seine Eltern sind nur mittelgross. Damals wussten alle in Zürich von diesem Phänomen, und sehr viele schauten sich den Knaben an, den sein Vater für sie herbeischaffte. Auch Conrad Gessner, ein Arzt aus Zürich (dem ich danke, weil er mir aus Wohlwollen und Menschenfreundlichkeit die hier gegebene Beschreibung des Knaben mitgeteilt hat), hat ihn als Fünfzehnjährigen in seinem Zuhause gesehen, nachdem man den Knaben herbeigerufen hatte, um ihn zum hochberühmten Ulrich Fugger, dem Grafen von Kirchberg und Weissenhorn, zu schicken, damit er ihn sich anschauen könnte (dieser badete sich damals aus Gesundheitsgründen in den Aargauer Thermalquellen); und er würde dies auch öffentlich bezeugen, weil er weiss, dass es einige Leute gibt, die Zweifel bezüglich des Alters des Knaben und des Wahrheitsgehalts dieser Geschichte haben.

 

p. 626 (1553)

In Basel haben wir am 23. Januar um die achte Nachtstunde gesehen, wie der Mond von einem grossen Kreis umgeben war, der wie ein Regenbogen drei ganze Stunden lang permanent zu sehen war. Darauf folgten bald Schnee und sehr grosser Frost.

 

p. 626-627

Der Rhein trat am 19. Juni aufgrund heftiger Regenfälle so sehr über seine Ufer, dass er nicht nur Felder und Äcker, sondern auch unzählige Städte, die nahe am Fluss gebaut sind, Schaden zufügte. Auch Basel, wo der ganze Rhein ankommt, schwebte in Gefahr, solange als der rasende Fluss gegen die Mauern von Kleinbasel anstürmte und fast den Fischmarkt von Grossbasel erreichte, besonders setzte er aber in unserer Gegend Neuenburg am Rhein zu. Zur selben Zeit geriet auch Rufach im Elsass, eine sehr altehrwürdige Stadt und meine allerliebste Heimat, in Gefahr. Denn als der Strom sich dort gegen das Südufer gewendet hatte, zu der mit zwei Gräbe umgebenen Stadt hin, brachte er beim Franziskanerkloster einen Teil der Befestigung zum Einsturz und liess sie in den Graben fallen. Die Bürger eilten herbei, doch ihre Kräfte reichten nicht hin, die Wucht einer solchen Überschwemmung einzuschränken; da wandte die Überschwemmung sich dank einer einzigartigen Wohltat Gottes schliesslich in Richtung Westen und fand trotz des Mauereinsturzes ihr Ende ausserhalb der Stadt, was sehr günstig war. Am nächsten Tag fand man auf Äckern, Wiesen, Sümpfen und hier und da auch auf trockenem Boden viele Fische, und es gab Leute, die mitten in der Stadt in den Weinkellern Fische fingen.

 

p. 658 (1556)

In der Schweiz fand man am Montag nach dem Fest des heiligen Gallus nicht fern von Wintherthur im Fluss Töss drei Steine: auf dem ersten erblickte man eine Darstellung des Schweizerkreuzes, eines Schwertes und einer Rute, auf den anderen beiden aber eine Darstellung des Burgunderkreuzes und eine des Burgunderwappens, so als ob die Natur selbst sie dort eingemeisselt hätte.

 

p. 659-660 (1556)

In St. Gallen trug es sich am 21. Mai zu, dass Petrus Besler, aus Rotmonten gebürtig und Knecht eines nahe von St. Gallen wohnenden Bürgers, ein frevelhafter, wilder und besonders zur Trunksucht neigender Jüngling, an dem Sonntag, den die alte Kirche der Dreifaltigkeit geweiht hat, mit seinen Kameraden nach St. Gallen ging, um dort das Vesperbrot zu essen; unter Einfluss von zu viel Wein stiftete er Unruhe in der Menge (wie die Leute aus dieser Hefe des Volkes es zu tun pflegen), beschimpfte seine Altersgenossen sehr stark und fügte, nachdem er zudem auf verschiedene Arten Gott gelästert hatte, auch noch Folgendes hinzu: «Wenn ich ab jetzt noch meinem Herren diene, dann weihe ich meinen Leib und meine Seele dem Teufel.» Doch nachdem er in der Stadt übernachtet und am Morgen seinen Rausch auskuriert hatte, da fiel ihm teilweise wieder ein, was am Vorabend gesagt und getan hatte. Aber da ihm keine andere Möglichkeit zur Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts einfiel als die Rückkehr zur Arbeit für seinen Herrn (die er vorher doch verwünscht hatte), verliess er die Stadt; nicht weit vom Hause seines Herrn sprach ihn ein furchterregend aussehender Mann, der mit einem schwarzen Gewand bekleidet war, so an: «Auf, mein Guter, ich bin jetzt da, um mir rechtmässig anzueignen, was mir gestern geweiht worden ist», und mit diesen Worten packte er mit seiner Hand den vor Furcht und Schrecken wie vom Donner Gerührten, schleuderte ihn zu Boden und verschwand. Kurz darauf fanden Nachbarn den höchst elenden Jüngling und brachten ihn, an Händen und Füssen gelähmt, ins Hospiz, wo er, nachdem er noch den Gebrauch aller übrigen Glieder eingebüsst hatte, seine Tage ans Bett gefesselt hin ganz elender Weise hinbrachte, wobei er nicht weniger seelische als körperliche Schmerzen litt.

 

p. 661 (1556)

Am 4. Dezember wurde in Basel ein Kind männlichen Geschlechts ohne Ohren geboren; stattdessen hatte es nur zwei Löcher, die aber so zugewachsen waren, dass es damit nichts hören konnte. Das kranke Knäblein lebte dennoch bis in den August; Anfang August starb es unter grossen Schmerzen.

 

p. 663

Das sind die Wunder und Vorzeichen, aufmerksamer Leser, die ich meiner Absicht gemäss zum derzeitigen Stand in möglichst kurzen Worten notiert habe, wobei ich zu dem Material, das mir die Lektüre der Geschichtswerke bot, noch hinzugefügt habe, was sich später ereignet hat, damit Du klarer verstehst, dass die Vorzeichen, die in Wechselfällen des Schicksals, Umwälzungen und Katastrophen bestehen, wahrhafte Anzeichen für Gottes Zorn sind und ein jeder durch das Unglück, das anderen widerfahren ist, vorsichtiger und klüger wird und noch mehr die Gelegenheit hat, Gott, der der Welt zürnt und mit ihrem Untergang droht, durch Reue und ein unschuldiges Leben zu besänftigen. Wir müssen aber unseren ewigen Herrn Jesus Christus inständig bitten, dass er durch seine Fürsprache den Zorn seines Vaters besänftigt, dass er uns ein neues Herz schenkt, unseren Glauben vermehrt und seine Kirche, die er mit seinem eigenen Blut erlöst hat, von allen bösen Künsten des Satans und der so überaus unreinen Welt freihält und immerzu behütet. Amen.