Brief an Heinrich Bullinger
Traduction (Allemand)
An den hochwürdigen Herrn, Herrn Heinrich Bullinger den Älteren, den treuesten Pastor der Zürcher Kirche, seinen Herrn und Vater, den er im höchsten Masse achten muss.
Dass ich Dir bislang nicht geschrieben habe, hochwürdiger Herr, hat keinen anderen Grund, als dass nur selten Leute von hier zu Euch reisen, und dass ich keinen Stoff hatte, der es wert gewesen wäre, in einem Brief mitgeteilt zu werden. Auch wenn ich jetzt immer noch keinen Stoff habe, ist es mir dennoch nicht möglich, die mir durch einige Sankt Galler Kaufleute gebotene Gelegenheit verstreichen zu lassen und Dir nicht wenigstens diese wenigen Worte zu schreiben, um Dir so zu beweisen, wie sehr ich Dir dankbar bin. Ich zweifle nicht daran, dass mein Herr Vater Dich bereits darüber ins Bild gesetzt hat, was ich hier für Geschäfte erledigt habe; deshalb will ich das nicht wiederholen, um Dir, einem beschäftigten Mann, nicht beschwerlich zu fallen.
Zwei Monate habe ich mich am Hofe aufgehalten, der zu dieser Zeit in Amboise war; aber so, wie ich mir jahrelang sehnsüchtig gewünscht hatte, ihn zu sehen, so sehr sehnte ich mich danach, ihn wieder verlassen zu können. Wenn ich bei anderen Gelegenheiten an deutschen Fürstenhöfen sah, wie die Leute, die dort ihre Geschäfte besorgen, etliche Tage verschwenden, dachte ich, es sei gar nicht möglich, dass die Verwaltung andernorts noch ungeordneter abliefe. Aber diese meine Meinung war falsch; ich habe dort eine solche Verwirrung und Uneinigkeit mitangesehen, dass man sie kaum in Worte fassen kann. Was mich angeht, so wundere mich tatsächlich, dass ich etwas erreicht habe. Wenn ich aber vorher erfahren hätte, dass es mit so vielen Mühen und Schwierigkeiten verbunden wäre, auch nur ganz kleine Anliegen durchzusetzen, wäre es mir niemals eingefallen, etwas Derartiges zu versuchen. Aber da Dein Brief mir dabei auf vielfältige Weise geholfen hat – es hat nämlich der Herr de Bellièvre mich sehr unterstützt, und er hat mir aufgetragen, Dir so sehr wie nur möglich in seinem Namen zu danken –, so danke ich Dir nun noch einmal, so sehr ich nur kann, da ich auch jetzt, wie schon so oft bei anderen Gelegenheiten, habe erfahren dürfen, wie sehr Du mich und meinen Herrn Vater liebst. Hoffentlich kann ich eines Tages stolz verkünden, dass Du für Deine Mühewaltung Dank erhalten hast.
Nach Ablauf dieser zwei Monate habe mich am 23. März nach Paris begeben, wo ich nun lebe. Meine Reise ist dank Gottes Güte günstig verlaufen und ich hatte sie nur sehr wenig zu bereuen; denn ich habe vieles gesehen und erfahren. Ich habe einen Gastwirt bekommen, der die reinere Religion preist, auch wenn er sich nicht öffentlich dazu bekennt. Er ist Advokat bei dem hochberühmten Parlament und heisst Jean Amariton; er wohnt gegenüber dem Collegium Decretorum. Ich zahle ihm monatlich zwölf königliche Kronen für mich und meinen Diener. Meine Herbergsgenossen sind ein Pole, der Sohn des Palatins [Woiwoden] von Inowrazlaw (Hohensalza), und Herr Lasicius, sein Lehrer. Ausserdem ein französischer Edelmann mit seinem Lehrer. Ich hätte freilich auch eine billigere Herberge finden können, aber die wäre vielleicht bei irgendeinem Handwerker gewesen, der nur von seinem Handwerk spricht; hier aber unterhält man sich über viele verschiedene Themen. Ich möchte also lieber etwas mehr bei einem gebildeten Mann zahlen, als mich im Dunkeln bei einem Schneider versteckt zu halten, wie es bei den Angehörigen unseres Volkes üblich ist, womit sie nämlich das Ziel verfolgen, einen ausschweifenderen Lebensstil zu pflegen.
Ich habe nichts Neues zu berichten, was nicht schon zu Euch gedrungen wäre. Ende Juni wird man hier die Hochzeit des Königs von Navarra feiern. In dieselbe Zeit wird vielleicht die Niederkunft der Königin fallen. Man sagt, dass dafür 80 Ärzte hier sind. Das also habe ich Dir mitteilen wollen, hochberühmter und hochwürdiger Herr; ich bitte Dich aber, mir so gewogen zu bleiben, wie Du es bisher gewesen bist.
Johannes Lasicius lässt Dich vielmals grüssen. Lebewohl. Gegeben zu Paris, im Quartier des Collège de Beauvais, am 23. April 1572. Von Herzen Dein Johann Philipp, Freiherr von Hohensax, Herr in Sax und Forstegg.
Wenn dieser Brief hier weniger sorgfältig geschrieben ist, schreibe das bitte meiner Eile zu; ich habe ihn nämlich hastig auf den Weg zu Dir gebracht.