Vorreden zum Liviuskommentar und zur Chronologia
Traduction (Allemand)
Aus der Vorrede an Kaiser Karl V.
Dem ehrwürdigsten und unbesiegbarsten Kaiser, Caesar Karl V. entbietet Heinrich Glarean seinen besonderen Gruss
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Aber, da ja viele sich so vernehmen lassen, es sei vorwitzig, an einem solchen Autor etwas zu kritisieren: deshalb habe ich geglaubt, auch der Ansicht dieser Leute entgegentreten zu müssen, damit ich nicht den Vorwurf einer schuldhaften oder vielmehr sogar kriminellen Kühnheit anzuerkennen scheine. Erstens: Es wird eingestanden, dass ein Historiker von jedem Hass frei sein muss und er sich nur den wahrhaften Sachverhalt vor Augen stellen darf; wie Livius diese Regel in Wahrheit beachtet hat, wird man aus dem Folgenden heraus leicht einschätzen können. Denn, um hinsichtlich der Germanen und Hispanier, zweier herausragender Nationen, zu schweigen: Beim Herkules, er hört niemals auf, die Gallier, ein in jedem Zeitalter berühmtes und kriegerisches Volk, besonders aber zu jener Zeit, in der die livianische Geschichte sich abspielt, mit Hass zu behandeln, es herabzusetzen, manchmal auch Widersprüchliches über es zu erzählen, er, ein in der Gallia Cisalpina geborener Mann. Dies haben wir in den folgenden Anmerkungen an einigen Stellen, aber nur im Vorübergehen, angegeben. Ferner: Wenn jemand den Bericht über die Entstehung des Römerreiches in der alten Zeit bei Dionysius liest und ihn mit der kurzen Darstellung des Livius vergleicht, wird er meiner Meinung nach sehen, dass ich nicht ohne Recht die Sorge und Sorgfalt des Dionysius der übereilten Art des Livius vorgezogen habe: so umsichtig scheint Dionysius alles behandelt zu haben, und so nachlässig Livius.
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Man sagt, Livius habe seine Geschichte als alter Mann geschrieben, wobei er verschiedenen bedeutenden Autoren folgte, wie er selbst in seiner Vorrede bekennt. Es ist also nicht seltsam, wenn sein Gedächtnis sich manchmal täuscht und er manchmal Unterschiedliches und fast Widersprüchliches schreibt. Es entgeht mir nicht, dass es eine verbreitete Ansicht ist, die sich dem Bewusstsein der Menschen fest eingepflanzt hat und viele so überzeugt hat, dass man völlig wahnsinnig zu sein scheint, wenn man eine andere Meinung vertritt: nämlich, dass die römischen Historiker hinsichtlich des historischen Wahrheitsgehaltes den Griechen weit vorzuziehen sind. Sofern es mich angeht, mag so immerfort denken, wer will. Mich aber wird weder Quintilian, ein besonders bedeutender Autor, noch irgendein anderer, noch so feiner Redner, dazu überreden, dass ich den Livius auf eine Stufe mit Herodot stelle, und ebenso ferne ist mir, dass ich ihm einen Platz hinter Livius zuweise.
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Wir greifen nicht die Autoren an, wenn wir Irrtümer verurteilen, von denen die meisten durch die Ungerechtigkeit der Zeitläufte geschehen sind, manche auch aufgrund menschlicher Schwäche, wenige vielleicht auch aufgrund eines schlechten Urteilvermögens oder einer schlechten emotionalen Verfassung der Autoren. Und wer hätte zur Zeit des Livius geglaubt, dass das römische Reich so herunterkommen könnte? Die Klugen, sagt man, konnten es. Aber diese Gruppe war nicht nur damals, sondern war zu jeder Zeit klein, und sie ist es heute, und sie wird es immer sein; das war meiner Ansicht nach der Grund für Livius, dass er sich überall gegen die Gallier ereiferte, indem er sie wilde Tiere nannte,Dummköpfe, deren Körper im Müssiggang zerfliessen, wobei er vielleicht meinte, die Gallier würden den Römern immer unterworfen bleiben, wie sie es waren, als er seine Geschichte schrieb. Aber das scheint für einen edelgesinnten Mann, der will, dass seine Schriften auch von der Nachwelt gelesen werden, kein hinreichender Grund zu sein, irgendeine Nation anzugreifen. [...]
Aus der Vorrede der Chronologie an König Ferdinand
Dem höchstmilden Caesar Ferdinand, dem König von Böhmen und Ungarn etc. entbietet Heinrich Glarean seinen Gruss
Niemand bezweifelt, unbesiegbarster König, dass die Zeitrechnung in der Geschichte das ist, was der Glanz der Sonne hoch in der Luft ist. Nimm die Sonne aus dieser Welt weg: Was wird dann übrig bleiben als ein verwirrtes Chaos? Nimm die Reihenfolge von Zeitaltern und Jahrhunderten aus der Geschichte weg: Gute Götter, kein Licht wird mehr auf den Ereignissen der Vergangenheit liegen. Dieser Grund hat mich dazu bewogen, dass ich – da die Geschichte des Livius zwar als sehr ausgezeichnet und nützlich von allen allenthalben als Gegenstand der Interpretation angenommen wird, die Zeitrechnung in ihr aber auf auffallende Weise hinkt – ich es für der Mühe wert hielt, die Lernbegierigen auch in diesem Stück, wie in meinen anderen Werken, nach Kräften zu unterstützen; was ich zuvor schon bei den Büchern des Dionysius von Halikarnassos, eines sehr hervorragenden und sehr sorgfältigen Geschichtsschreibers, getan habe. Deshalb habe ich eine Chronologie (man könnte sie Zeitrechnung nennen) verfasst, die vor einigen Jahren Hieronymus Froben und Nikolaus Episcopius, sehr gute Freunde von mir und Wiederhersteller der edlen Wissenschaften, dem Exemplar des Livius, das sie damals druckten, hinzufügen liessen. Für diese Arbeit habe ich freilich von vielen gelehrten Männern Lob zu hören bekommen; in Briefen an mich dankten sie mir ungemein und gestanden mir frei heraus, wie es ihrer Lauterkeit entspricht, dass zur römischen Geschichte eine sehr grosse Zierde und ein sehr helles Licht hinzugekommen sei durch diese Art von Kommentar, wobei sie immer wieder in jene Verse des Vergil einstimmten
Welche Zierde die Hände dem Elfenbein hinzufügen, oder wo das
Silber und der parische Marmor mit Gold belegt werden